Versunkene Gräber - Roman
zurechtgekommen, der alte Prahlhans.«
»Was ganz Großes«, murmelte ich. Mir schwante Böses, ich hatte aber noch keine Ahnung, aus welcher Richtung. Etwas musste sich in Horsts belanglosem, von Scheitern und Versagen geprägtem Leben ereignet haben. Nur ein paar Wochen vor seinem Tod.
»Hat er vielleicht irgendeine Andeutung gemacht?«, fragte ich.
Wolfgang, der gerade nach seiner Flasche greifen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. »Keine Ahnung. Vielleicht hatte es was mit seinem Vater zu tun. Der alte Hagen ist im Mai gestorben. Ende Mai, als es grade mal ein paar Tage schön war. Scheiß Wetter, nicht?«
»Hagen?«, fragte ich erstaunt. »Wer ist das?«
»Der Vater vom Horst. Schwerdtfeger hieß Mariechens und Horsts Mutter. Karin Schwerdtfeger. Die hat sich von dem alten Hagen ein Kind andrehen lassen. Damals war er natürlich noch nicht alt. Anfang zwanzig oder so. Und sie grade mal achtzehn. Hagen macht Karin Schwerdtfeger ein Kind und lässt sie sitzen. Später heiratet er, eine richtig gute Partie. Lässt aber all die Jahre nichts von sich hören. Ein Schwein, wenn Sie mich fragen. Horst hat bis zum Schluss nichts anderes mitgekriegt, als dass sein leiblicher Vater nichts mit ihm zu tun haben wollte.«
»Ach.« Das wurde ja immer interessanter. »Vielleicht hat er geerbt?«
Späte Einsicht und Reue, das gab es. Und es würde das Geld erklären.
»Möglich. Tatsache ist, dass der alte Hagen sein Leben lang so getan hat, als hätte er nur eine Familie. Die richtige. Ehefrau und zwei Kinder. Was davor war, hat ihn nicht interessiert. Es gab keinen Kontakt und kein Geld. Ich glaube, er hat Marias Mutter noch nicht mal richtig Unterhalt gezahlt. Vielleicht wollte er in seiner letzten Stunde was wiedergutmachen?« Er nahm die Flasche und trank.
»Und?«
»Als Maria ihren Bruder das letzte Mal am Telefon hatte, klang er ziemlich kleinlaut. Irgendein Anwalt hatte ihm wohl Hoffnung gemacht, und dann hieß es: Satz mit x, war wohl nix.«
»Ein Erbstreit.«
»Nee, es gab ja nichts zu vererben.«
»Weil jemand anders alles bekommen hat?«
»Weil sein Vater damals was unterzeichnet hat, dass er nichts vom Familienvermögen seiner Frau abkriegt. Er war ein ganz armer Schlucker, so hieß es plötzlich. Alles Geld hatte seine Frau, und als die gestorben ist, bekamen es die Kinder. Der alte Hagen muss eine ganz arme Sau gewesen sein, so wollte man es Horst jedenfalls weismachen. Dabei hat er die letzten Jahre als Witwer in einem Heim gelebt, für viertausend Euro im Monat. Da stimmt doch was nicht.«
Er trank den letzten Schluck aus seiner Flasche und schüttelte immer noch den Kopf, als könne er selbst jetzt kaum glauben, wie Horst über den Tisch gezogen worden war.
»In welchem Heim?«
»Warum wollen Sie das wissen?«, knurrte er.
»Ich bin fest davon überzeugt, dass der Tod Ihres Schwagers kein Raubmord war.«
»Was dann?«
»Genau das versuche ich herauszufinden. Wenn ich Glück habe, werde ich dabei auf das Geld stoßen. Auf die dreißigtausend Euro, die Ihnen gehören.«
Wolfgang starrte mich an. Wahrscheinlich hatte man den beiden keine großen Hoffnungen gemacht, von Horst mehr als einen verbeulten Toyota zu erben.
» Und ich kümmere mich um das Auto«, fiel es mir gerade noch rechtzeitig ein.
»Das war … warten Sie. Mariechen hat es sich aufgeschrieben. Sie hat einen Strauß zur Beerdigung geschickt. Moment, ich such mal die Rechnung dafür raus.« Er stand auf. Schubladen wurden aufgezogen, Papier raschelte. »Haus Emeritia in Berlin.«
»In Berlin? Nicht in Hamburg?«
»Nee, Berlin. Die Hagens sind zwar nach dem Krieg nach Hamburg, aber als der Alte geheiratet hat, sind sie nach Berlin, wegen der Zulage oder so. Die hatten da ein Werk, ist aber schon längst geschlossen.«
»Wann genau ist der alte Hagen gestorben?«
»Das war im Mai. Denken Sie, da wäre ein Danke für die Blumen gekommen? Nur so eine blöde Karte. Gedruckt. Das war’s. Hier.« Er reichte mir das Schreiben.
»Darf ich es mitnehmen? Sie bekommen es wieder.«
»Von mir aus. Ich hab gleich gesagt, das ist eine Riesenschweinerei. Das kann doch nicht sein. Und jetzt, wo Horst tot ist, hören wir, dass er dreißigtausend Euro dabeihatte. Mannomann. So viel Geld. Das hätte Mariechen eigentlich geerbt. Und was kriegt sie? Einen Haufen Schulden. Die zwei ehelichen Kinder vom alten Hagen haben Horst doch bloß die abgenagten Knochen hinterlassen.«
Ich fand die dreißigtausend Euro ebenfalls bemerkenswert.
Weitere Kostenlose Bücher