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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Züge der Deutschen Bahn. Von den ehemals drei Flughäfen wurde einer geschlossen und konzeptlos der jauchzenden Jugend überlassen. Tegel existiert noch, aber nur aufgrund einer narkoleptischen Flughafenplanung, die das großartig angekündigte und von niemandem gewollte Schönefelder Drehkreuz in den märkischen Sand gesetzt hat. Der Bahnhof Zoo ist zur Regionalbahnhaltestelle degradiert, zugunsten eines ungeliebten, schwer zu erreichenden, zugigen, unübersichtlichen Hauptbahnhofs im Regierungsviertel – wo sonst?
    Damit war der gesamte Westen Berlins vom Fernverkehr abgehängt worden. War Tegel erst einmal geschlossen, ging es ohne Auto oder Fahrrad aus dieser Stadt nur noch über den Osten hinaus. Ein Umstand, den man bei aller Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern als Westberliner nur zähneknirschend akzeptierte.
    Um von Charlottenburg nach Hamburg zu gelangen, fuhr man also eine halbe Stunde quer durch die Stadt, nur um in einen Fernzug zu steigen, der genau dieselbe Strecke erneut zurücklegte. Jedes Mal keimte in mir das Gefühl von Demütigung und Wut. So hässlich der Bahnhof Zoo auch war, so dunkel die Ecken um ihn herum, er war das schlagende Herz der Mauerstadt gewesen. Sein Bedeutungsverlust war nicht mit vernünftigen Gründen zu erklären.
    Dennoch kam ich nach knapp zwei Stunden Fahrt am stolzen, zentral gelegenen, übersichtlichen, an ein hervorragend funktionierendes öffentliches Personennahverkehrssystem angeschlossenen, dem Palais des Machines der Pariser Weltausstellung von 1889 nachempfundenen Hamburger Hauptbahnhof an und nahm die nächste S-Bahn zum Harburger Rathaus. Von dort waren es nur noch ein paar Minuten zu Fuß. Ich hatte keine Telefonnummer von Maria Fellner. Wahrscheinlich hatte sie, wie so viele, ihren Festnetzanschluss abgeschafft und nutzte nur noch das Handy.
    Kurz vor acht stand ich vor einem mehrstöckigen, abgewohnten Mietshaus aus den siebziger Jahren. Ich klingelte, jemand betätigte den Summer, der Lautsprecher neben der Klingel plärrte »Vierter Stock links, letzte Tür«, und genau dort erwartete mich eine schwer enttäuschte Mittvierzigerin im Hausanzug, die mein Kommen mit leeren Händen skeptisch zur Kenntnis nahm.
    »Wo ist denn die Pizza?«, fragte sie.
    Sie war eine kräftige Frau, und ich glaubte, Ähnlichkeit zu den Zügen ihres verstorbenen Bruders zu erkennen. Zumindest hatten beide struppige, dunkle Haare.
    »Es tut mir leid. Mein Name ist Joachim Vernau. Ich komme wegen Ihres Bruders Horst. Horst Schwerdtfeger.«
    Das breite, gutmütige Gesicht verdüsterte sich. »Was wollen Sie?«
    »Ich bin Anwalt und hätte noch die eine oder andere …«
    »Ich habe kein Geld«, fiel sie mir barsch ins Wort. »Und Horst hatte auch keins. Wenn das Ihre Frage ist, dann haben Sie die Antwort.«
    Sie schloss die Tür. Ich hörte, wie die Klingel in ihrem Flur schrillte und sie mit jemandem sprach. Wenig später fuhr der Fahrstuhl nach unten und kehrte mit einem Pizzaboten zurück.
    »Für Fellner?«, fragte ich.
    Der kleine Mann nickte und stellte die Warmhaltebox auf den Boden. Er war flink und geschickt.
    »Einmal Salami, einmal Caprese mit extra Knoblauch. Macht dreizehn achtzig.«
    Ich gab ihm fünfzehn Euro, er überließ mir zwei Pappschachteln, aus denen es so verführerisch duftete, dass mir der Magen knurrte. Ich hatte nicht nur zu wenig geschlafen, sondern auch zu wenig gegessen.
    Während der kleine Mann wieder nach unten fuhr, klingelte ich erneut. Wütend riss Frau Fellner die Tür auf. Ich lächelte sie freundlich an.
    »Ich würde Sie gerne zum Essen einladen.«
    Statt einer Antwort drehte sie sich um und rief »Wolfgang?« in die Wohnung. Ein unartikuliertes Brummen, übertönt vom hektischen Geschrei einer Castingshow im Fernsehen, kam zurück.
    »Es dauert nicht lange«, fuhr ich fort. »Und die Pizza soll doch nicht kalt werden.«
    Stirnrunzelnd trat sie zur Seite und hielt die Tür auf.
    »Hier entlang?«, fragte ich und folgte den Geräuschen.
    Ich kam in ein enges Wohnzimmer mit farbenfroher Couchgarnitur, Gardinen vor den Fenstern, einer Tür zum Balkon und einem gewaltigen Flachbildschirm, auf dem sich gerade ein pickliger Hänfling an einer Coverversion von Bon Jovi versuchte. Im einzigen Sessel saß ein halb kahler, runder Mann, der mich erstaunt anblinzelte.
    »Wolfgang?«, fragte ich und reichte ihm die freie Hand. »Ich bin Joachim. Joachim Vernau aus Berlin.«
    Wolfgangs Händedruck war schlaff. Er versuchte, sich aus seiner

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