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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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ob ich ihr folgen sollte. Meine Beine waren schwer wie Stein, die Muskeln in Rücken, Nacken und Armen schmerzten. Ich brauchte Schlaf, um wieder klar denken zu können.
    Ich hatte Marie-Luise nichts von Jaceks Geständnis in der U-Haft gesagt. Die Situation war schon schlimm genug für sie. Er war ein Lügner. Er hatte uns alle belogen. Ich wusste nicht, aus welchem Grund, denn ich hatte gehofft, dass er wenigstens mir gegenüber offen sein würde. Stattdessen zog sich die Garotte immer enger um seinen Hals.
    War Jacek unschuldig? Jein. Ich war immer noch davon überzeugt, dass er kein Mörder war. Aber die Möglichkeit einer Tat im Affekt oder einer Notwehr stand im Raum. Täter und Opfer hatten sich gekannt. Das änderte alles. Ich traute Sinter eine Menge zu, jedoch kein gefälschtes Foto.
    Nur warum hatte der Anwalt Horst Schwerdtfeger überwachen lassen? Angeblich, um einer Erpressung zuvorzukommen. Also musste es einen Grund dafür geben, der gewichtiger war als eine kleine Erbschleicherei. Wovor hatten die Camerers Angst? Was konnte ihnen gefährlich werden? Gab es eine geheime Vereinbarung zwischen dem alten Hagen und seinem unehelichen Sohn?
    Wenn ich schon bei Sinter nicht weiterkam … dann vielleicht bei Krystyna. Sie schien sich wirklich Vorwürfe zu machen und hatte den alten Herrn gemocht. Frau Wittich war nicht korrumpierbar. Sie würde die Geheimnisse ihrer Schützlinge wenn nötig mit dem Flammenschwert verteidigen. Die Pfleger dagegen … Ich ging ins Haus.
    »Marie-Luise?«
    Keine Antwort. Ich stieg die Treppen hoch zu den beiden Schlafzimmern unterm Dach. Sie lag in ihrem Bett und starrte an die Decke.
    »Ich hau mich mal kurz aufs Ohr«, sagte ich.
    »Tu das.«
    Ich betrat Jaceks Zimmer und warf mich auf sein Lager. Es roch nach Erde und Mann. Eine kratzige Decke lag auf dem Fußboden, sie reichte aus, um mich wenigstens etwas zu wärmen. Ich tastete nach meinem Handy und hoffte, Zuzanna würde mich mit ihrem Anruf wecken.

23
    Ein kalter Luftzug strich durchs Zimmer. Ich riss die Augen auf und fand mich in fast vollkommener Dunkelheit. Nur das bleiche Viereck des Fensters war zu erkennen. Und ein Schatten, der es verdunkelte, der Umriss einer klumpigen, untersetzten Gestalt. Kein Mensch konnte so missgestaltet sein wie dieses Ding. Der kleine Kopf saß auf einem massigen Buckel, zerklüftet wie ein Felsbrocken. Im ersten Moment glaubte ich, der livländische Christoph stünde dort. Dann bewegte sich die Gestalt leichtfüßig und kam auf mich zu.
    »Bist du wach?«, flüsterte sie.
    Ich griff nach meinem Handy und aktivierte die Taschenlampenfunktion. Marie-Luise beugte sich über mich, um die Schultern hatte sie meine verdrehte Jacke gelegt. Das war es, was im Dunkeln ihre Silhouette so verändert hatte.
    »Mach das aus. Sofort!« Ich gehorchte. »Ich hab wieder was gehört. Draußen, auf dem Friedhof.«
    Sie schlich zum Fenster und spähte hinaus. In meinem Kopf rumpelten noch die Überreste eines merkwürdig realen Traums, in dem ich über einen See gerudert war. Oder war es ein Fluss gewesen? Ich musste ans andere Ufer, so schnell wie möglich, und etwas von der Panik, die ich in dem Traum gespürt hatte, begleitete mich auch noch in die ersten Augenblicke nach dem Erwachen hinein. Mühsam stand ich auf und humpelte wie ein alter Mann zu ihr. Meine Schultern waren völlig verkrampft. Wahrscheinlich vom Rudern.
    »Da!«
    Ihr Zeigefinger stieß in die Dunkelheit. Ich kniff die Augen zusammen und betrachtete die schwarze Masse unter meinem Fenster, aus der sich langsam die Wipfel der Friedhofsbäume und das Ziegeldach der Kapelle erhoben.
    »Ich sehe nichts.«
    »Jetzt ist es wieder weg.«
    Wir blieben nebeneinander stehen. Ich konnte hören, wie sie atmete. Ein leises Rauschen kam auf, als der Wind über die Wipfel strich. Einmal glaubte ich, die zerborstene Ruine eines Grabsteins zu entdecken. In allen Ecken lauerten Schatten.
    Einer bewegte sich.
    »Links«, flüsterte ich. »Ist das eine zweite Kapelle?«
    Ein Dach, ein Kreuz. Schmale, hohe Fenster. Eine Gestalt strich um die Ecke, blieb vor dem Eingang stehen.
    »Nein, ein Mausoleum mit Gruft. Dort liegt Mathilde.«
    »Welche Mathilde?«
    »Das ist doch egal!«, zischte sie.
    »Ich gehe nachsehen. Du bleibst hier.«
    Ich wollte mich abwenden, um hinunterzugehen. Ihre Hand fuhr vor und klammerte sich an meinen Arm.
    »Nein!«
    »Lass mich los. Da unten streunt jemand rum, und ich will wissen, wer das ist.«
    »Nein!«
    Sie schlang beide

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