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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Arme um mich und hielt mich fest. Ich spürte, wie sie zitterte. Die Berührung lähmte mich. Ich brauchte einen Moment, bis ich vorsichtig eine Hand heben und ihr über den Kopf streichen konnte.
    »Ist ja gut«, murmelte ich. »Keiner tut dir was.«
    Sie vergrub das Gesicht an meiner Brust, als ob ich der Einzige wäre, der ihr noch Schutz bieten könnte. Ich war überrumpelt und überfordert. Es war, als wäre sie nie fort gewesen aus meinen Armen.
    »Das ist nicht wahr.« Ihre Stimme klang gedämpft aus meinem Pullover. Trotzdem hörte ich die Angst, spürte ihre hilflose Verzweiflung. »Genauso war es, als es passiert ist. Ich bin aufgestanden, um nachzusehen. Sein Bett war leer.«
    »Jacek war nicht im Zimmer?«
    Schnelles, hektisches Kopfschütteln.
    »Ich habe geglaubt, er hätte mich gerufen. Davon bin ich aufgewacht. Ich bin runter und dachte, ich soll ihm vielleicht helfen, das Lagerfeuer auszumachen. Aber es war schon aus. Niemand war da. Und dann waren da diese Schreie …«
    »Welche Schreie?«
    »Erst Jacek. Er hat irgendwas gebrüllt. Ich konnte die Worte nicht verstehen. Aber ich hab Angst bekommen. Neben dem Eingang lag die Eisenstange. Ich hab sie aufgehoben. Ich rief: Jacek? Und noch mal: Jacek? Er brüllte: Marie-Luise! Da ich bin los.«
    »Du bist auf den Friedhof?«
    Schnelles, hektisches Nicken. »Ich wusste ja nicht, was mich dort erwartet hat. Ich dachte, Jacek wäre irgendwo reingefallen und käme ohne meine Hilfe nicht mehr raus. Das ist lebensgefährlich da drüben. Ich bin los, und dann …«
    Sie verkrampfte sich noch mehr. Ich legte meine Arme um sie und hielt sie fest, wiegte sie sanft hin und her.
    »Und dann?«
    »Ich konnte kaum was sehen. Ich hab ihn gerufen. Auf einmal schrie er, gar nicht weit weg. Hau ab!, schrie er. Verschwinde! – Was ist los?, hab ich gerufen. Und da … da kam dieser Schrei. So etwas Unmenschliches, Tierisches. Es brach durch die Büsche wie ein … Wolf? Ich weiß es nicht. Ich hab nur den Schatten gesehen, der aus einem der Gräber gestiegen ist. Es war ein so unheimlicher Anblick, dass ich erst dachte: Jetzt wirst du verrückt. Ich schrie nach Jacek, aber der war irgendwo weiter weg. Da hab ich die Stange fallen lassen und bin losgerannt. Ich wusste nicht, wohin, ich hatte null Orientierung. Alles ist überwuchert, es gibt keinen Weg mehr. Ich bin über Grabsteine gestolpert und einmal, einmal bin ich mit dem Fuß stecken geblieben und da … Oh Gott.«
    »Schschsch.«
    »Ich dachte, ich breche in einen morschen Sarg ein! Es war so unheimlich. So grauenhaft! Und dieses Monster war die ganze Zeit hinter mir her.«
    »Hast du irgendetwas erkennen können?«
    Sie hob den Kopf. »Ich hatte Todesangst. Es war stockfinster. Ich bin wahrscheinlich in Gerippe getreten und über Totenköpfe gestolpert. Und die ganze Zeit über weißt du, du wirst entweder erschlagen oder wahnsinnig. Nein, ich habe nichts erkennen können. Ich bin über einen Friedhof gejagt worden, der in der Erde versinkt. Einmal wäre ich fast in die Spitzen eines Eisenzauns gefallen. Hier.« Sie zeigte mir eine böse Schramme am Unterarm. »Ich hätte mich auch aufspießen können. Das ist verrückt, völlig verrückt. Es ist schon bei Tag ein unübersichtliches Gelände. Und bei Nacht der Irrsinn.«
    »Und dann?«
    Sie löste sich aus meinen Armen. »Dann habe ich diese halb verfallene Gruft von Mathilde Irgendwas gefunden und bin rein. Eine Sackgasse. Wenn er mich dort gefunden hätte …«
    »Es war ein Mann?«
    »Ja. Ganz bestimmt. Eine Frau hätte anders gebrüllt.«
    »Was hat er gebrüllt?«
    »Ich habe es nicht verstanden.«
    »Polnisch oder deutsch?«
    »Ich habe es nicht verstanden! Wann bist du zum letzten Mal zu Tode gehetzt worden? Du hörst deinen Atem, die Geräusche, wenn du hinfällst und dich wieder aufrappelst, du hörst das Blut in den Ohren rauschen, du machst dicht. Dicht!«
    »Okay. Und dann?«
    »Dann … ist er an der Gruft vorbeigelaufen. Als ob er jemanden suchen würde. Mich oder jemand anders.«
    »War es Jacek?«
    Ihre Augen weiteten sich. »Nein! Es war nicht Jacek!«
    »Wo war er?«
    »Das … das weiß ich nicht. Es wurde ruhig. Ganz ruhig. Ich habe abgewartet. Dann bin ich raus aus der Gruft. Ich dachte, wenn ich ganz schnell ins Haus laufe, die Tür zuschließe und die Polizei anrufe … Ich bin zurückgeschlichen, bis zur Kapelle … und da hat er mich gesehen.«
    »Wer?«
    »Der … Schatten. Er ist aus einem Grab gestiegen, als ob er dort

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