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Versunkene Gräber - Roman

Versunkene Gräber - Roman

Titel: Versunkene Gräber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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in dem einen oder anderen Fenster brannte schon Licht. Ich fragte mich, wie viele Menschen dort wohnten. Fünfzig vielleicht? Würde es sich lohnen, mit ihnen zu reden? Hatten sie etwas bemerkt, das der Polizei entgangen war? Oder würden auch sie mir uralte Geschichten und Märchen aus der verlorenen Heimat erzählen?
    Es schien, als ob der Himmel hier weiter wäre als anderswo und die Wolken wie in einem Wettrennen über den Himmel jagten. Immer wieder tauchte die dünne Sichel des zunehmenden Mondes auf, als ob er sich nur vergewissern wollte, dass es noch nicht Zeit für seinen großen Auftritt war. Das nächste Tief war im Anmarsch. Wir alle sehnten uns nach dem Sommer, doch er benahm sich wie ein scheuer Gast, dem man aus Versehen auf die Füße getreten war. Irgendwo drückte er sich noch herum, man wusste, er war da, aber er zeigte sich nicht.
    »Es war wirklich Jacek auf dem Foto? Kein Zweifel?« Marie-Luise zog eine Notfallzigarette aus dem zerquetschten Päckchen. Wahrscheinlich hatte sie darauf geschlafen.
    »Kein Zweifel.«
    »Demnach hat er Schwerdtfeger gekannt. Und die Schwester. Was wollten die beiden von Jacek?«
    »Das werde ich erfahren, wenn seine Anwältin sich das nächste Mal meldet. Sie müsste eigentlich schon längst aus dem Knast zurück sein.«
    Ich hatte mich entschlossen, an diesem Tag nicht mehr nach Poznań zu fahren. Sollte Zuzanna Jacek mit den neusten Entwicklungen konfrontieren. Ich hatte Angst, ihm in die Augen zu schauen und dort etwas zu entdecken, das ich nicht sehen wollte. Jacek, mein Bruder.
    Sie versuchte, sich die Zigarette anzuzünden. Es dauerte eine Weile und brauchte eine halbe Packung Zündhölzer. »Und der alte Hagen, sein Vater, war aus Zielona Góra?«
    »Ja. Grünberg. Aus der Gegend um Grünberg, so hieß es.«
    Sie drehte sich um und sah links hinauf zum Herrenhaus. »Vielleicht hat es ihm mal gehört.«
    »Auch das müsste Jaceks Anwältin mittlerweile wissen.«
    »Aber … das ist doch alles Schnee von gestern. Es hat den Lastenausgleich gegeben. Das Potsdamer Abkommen. Die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie von 1950 durch die DDR und 1970 nach dem Warschauer Abkommen durch die Bundesrepublik. Den Zwei-plus-Vier-Vertrag 1990, ohne den es die deutsche Einheit nicht gegeben hätte.«
    »Und die Preußische Treuhand«, warf ich ein. »Ihr Kreuzzug gegen Polen ist gerade mal ein paar Jahre her.«
    Marie-Luise spuckte in den Fluss. »Die Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind abgelehnt worden.«
    »Dafür ist vielen Einzelklagen stattgegeben worden.«
    »Sag mal, bist du jetzt unter die Revisionisten gegangen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich weiß, dass es Fälle gegeben hat, bei denen im Grundbuch noch die deutschen Besitzer standen. Das hat die Chancen auf eine Rückgabe erhöht.«
    »Rückgabe«, wiederholte sie. »Du glaubst also wirklich, es existiert was zum Zurückgeben?«
    »Nein. Überhaupt nicht. Ich lege bloß Fakten dar. Es gibt immer wieder Bestrebungen Einzelner, ihr verlorenes Eigentum zurückzubekommen.«
    »Dann frag dich doch mal, warum sie es verloren haben. Meine Großeltern waren Kommunisten. Dafür ist mein Opa sogar für sechs Wochen ins KZ gekommen. Von ihrem Haus in Küstrin existieren nur noch die Grundsteine. Soll ich da einen Pflock mit der deutschen Fahne reinrammen und sagen: Das ist meins? Den Nazis, den neuen und den alten, muss man dafür in den Arsch treten. Immer und immer wieder. Und wenn sie fragen, warum, gleich noch eins hinterher.«
    Sie rauchte wütend, in tiefen, schnellen Zügen.
    »Dass dieses faschistische Gesindel sich heute überhaupt noch aus der Deckung traut. Diese Schmach und Schande, dieses unermessliche Leid … Wem haben wir es denn zu verdanken? Und dann kriechen sie wieder aus ihren Löchern und morden vor aller Augen, und der Verfassungsschutz bleibt einfach auf dem rechten Auge blind. Dieses unsägliche Herumeiern, ob die NPD nun verboten werden kann oder nicht. Ich habe es so satt. Und wir müssen diese Leute dulden, die immer noch krakeelen: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.«
    Ich sah auf den Fluss und dachte daran, wie viel Blut hier hinuntergeflossen sein musste. Und an Stalins Terror im Osten, der Millionen Menschen das Leben gekostet hatte.
    »Sie haben es nie verwunden«, fuhr Marie-Luise fort, ruhiger und leiser jetzt. »Das war ihre Heimat. Sogar dieses Wort haben uns die Nazis weggenommen. Hast du eine Heimat?«
    Ich dachte an Berlin. An die kleine

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