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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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ist nur ei­ne Fra­ge der Übung.“
    „Aber Sie kön­nen es nicht kon­trol­lie­ren, oder?“
    „Das Sta­di­um der Be­wußt­heit schon. Aber was in mei­nem In­ne­ren vor­geht, kann ich nicht be­ein­flus­sen, nicht mehr als Sie. Ich kann nur be­ob­ach­ten.“ Und so­viel ent­sprach zu­min­dest der Wahr­heit.
    Sie zupf­te geis­tes­ab­we­send an ih­rem bern­stein­far­be­nen Haar, und ih­re Mund­win­kel zo­gen sich ein we­nig zu­sam­men, als sie ih­re Ge­dan­ken sam­mel­te. „Wie Sie wis­sen, hat Dr. Evert zehn Jah­re lang ver­sucht, das fer­tig­zu­brin­gen, was Sie be­werk­stel­li­gen.“ Ich nick­te. „Es ge­lang ihm ein­fach nicht. Er schaff­te es bis zu den Vor­sta­di­en, doch die letz­te Hür­de konn­te er nicht über­win­den.“
    „Viel­leicht ma­chen es die Im­mor­ta­li­täts­be­hand­lun­gen un­mög­lich“, gab ich bos­haft zu­rück. „Viel­leicht muß man sterb­lich sein, um in die­sen in­ne­ren Kos­mos tau­chen zu kön­nen.“
    „Un­sinn“, er­wi­der­te sie barsch. Sie er­hob sich, glät­te­te ei­ne Fal­te in ih­rer wei­chen Tu­ni­ka, sag­te mir, ich kön­ne in ei­ner Stun­de ge­hen, und ver­ließ das Zim­mer – sie hat­te die üb­li­che Fra­ge ge­stellt und die ge­wohn­te Ant­wort er­hal­ten. Es muß ihr sehr zu schaf­fen ge­macht ha­ben, im­mer wie­der mit ei­nem Pro­blem kon­fron­tiert zu wer­den, das sie nicht lö­sen konn­te. Ei­ne Tie­fe in mir, ein ent­le­ge­ner Win­kel, ein Bruch­stück, das sie nicht son­die­ren und ana­ly­sie­ren konn­te mit ih­ren Ma­schi­nen, ih­ren Auf­zeich­nun­gen, ih­rem Wis­sen. Es freu­te mich, daß sie nicht in der La­ge wa­ren, mei­ne Psy­che aus­zu­lo­ten und mei­ne Pein zu ent­de­cken. Ich klet­ter­te aus dem Bett, zog die Vor­hän­ge von den Fens­tern und blick­te auf die drau­ßen im Gar­ten blü­hen­den Pflan­zen.
    „Nur ei­ne Fra­ge der Übung“, hat­te ich ihr er­klärt. Als ob ich Be­scheid wüß­te. Es war vor vie­len Jahr­zehn­ten, als ich zum ers­ten­mal in mei­ne in­ne­re Welt hin­ein­fiel, da­mals im Or­bit ei­ner wü­tend lo­dern­den Son­ne. Und ich ver­stand die­sen Vor­gang kaum bes­ser als sie.
     

11
     
    Vor fünf­zig Jah­ren hat­te ich mit ei­nem nach­hal­ti­gen Schock ei­ne an­de­re Kli­nik ver­las­sen und ver­geb­lich ver­sucht, fes­ten Bo­den un­ter den Fü­ßen zu fin­den.
    Es dau­ert ei­ne Wei­le, bis be­deu­ten­de Er­kennt­nis­se ver­ar­bei­tet sind, bis man ih­nen den rich­ti­gen Be­wußt­heits­grad zu­ge­ord­net hat und sie in der See­le fest ver­an­kert sind. Ich stol­per­te aus der Kli­nik hin­aus in den grel­len und hei­ßen Son­nen­schein Süd­afri­kas und be­griff nicht ganz, was mit mir ge­sche­hen war, was man mir er­klärt hat­te. Sterb­lich­keit war un­faß­bar, und als ein Kind mei­ner Zeit fiel es mir schwer, al­le kul­tu­rel­len Ma­xi­men zu ver­ges­sen und die un­glaub­li­che Wahr­heit zu ak­zep­tie­ren. An Bord des Kreu­zers, nach Nor­den un­ter­wegs, er­goß sich die gan­ze Flut­wel­le des Ver­ste­hens über mich. Und wäh­rend das un­för­mi­ge Luft­boot über Gras­land und Sa­van­nen rum­pel­te, über Ber­ge und Seen glitt, kau­er­te ich ein­sam in ei­ner Ecke und zit­ter­te. Als ich in Istan­bul vom Schiff stol­per­te, ließ ich nicht nur den Kreu­zer hin­ter mir, son­dern auch die Art von Kind­heit und Ju­gend, die mir die Welt zu bie­ten hat­te.
    Istan­bul ist ei­ne ru­hi­ge Stadt. Die Re­stau­ra­ti­on ist voll­stän­dig, um­faßt aber nur einen sehr klei­nen Teil der ehe­mals so großen Stadt: ei­ne Mo­schee, ei­ni­ge mit­tel­al­ter­li­che Pa­läs­te, ein paar mit Kopf­stei­nen ge­pflas­ter­te Stra­ßen, die Brücke über den Bos­po­rus. Duf­ten­de Pflan­zen wach­sen auf den Mau­ern und Ge­bäu­de­sim­sen, und ih­re großen Blü­ten­trau­ben flie­ßen über die Stei­ne hin­ab. Dann und wann wei­che Mu­sik aus fer­nen, ge­schlos­se­nen, küh­len Räu­men. Klei­ne Ca­fes mit ein oder zwei stum­men und war­ten­den Gäs­ten. Ei­ne hei­ße, strah­len­de Son­ne.
    Stadt der Träu­me. Stadt der Stil­le. Stadt des ver­schwen­de­ri­schen Son­nen­scheins. Ei­ne Stadt mit tau­send Bet­ten, und in je­dem liegt ein Un­s­terb­li­cher

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