Versunkene Inseln
dem Boden hinter ihr und streichelte die Knöchel ihrer zurückgelegten Hände. Ich rührte mich nicht, schwieg und wartete darauf, daß sie zu sprechen begann. Aber auch sie blieb eine ganze Weile stumm. Eine Seemöwe krächzte kläglich, und die Generatoren brummten, während wir den neuen Kurs genau einhielten.
„Tia?“
„Hm?“
„Nun, wie ist es, äh, ich meine …“
Ich wandte mich um und sah sie an. „Was haben Sie auf dem Herzen, Jenny?“
Sie lachte nervös und spielte mit ihrem Haar. „Ich weiß nicht so recht, ob ich es ansprechen soll. Ich meine, ich könnte Sie beleidigen, und das möchte ich nicht.“
„Ach? Warum rücken Sie nicht einfach damit raus, und wenn ich beleidigt bin, dann antworte ich einfach nicht, in Ordnung?“
„Nun, wie fühlt man sich? Ich meine, wie ist es, alt zu sein? Sehen Sie, ich habe Ihnen ja gesagt, Sie wären beleidigt.“
„Jenny, wie alt sind Sie?“
Sie machte einen verwirrten Eindruck, runzelte kurz die Stirn und sagte dann: „Hundertzehn, glaube ich. Es ist ein bißchen schwierig, den Überblick zu wahren.“
„Und ich bin siebenundsechzig Jahre alt, acht Monate, vierzehn Tage und, äh, etwa elf Stunden. Sie sind also bedeutend älter als ich. Sie selbst können Ihre eigene Frage wesentlich besser beantworten.“
„So habe ich das nicht gemeint.“
„Ich weiß, ich weiß.“ Ich legte die Arme auf das niedrige Geländer und stützte das Kinn auf die Handgelenke. „Es ist nicht gerade ein Thema, über das ich gern spreche.“
Kurzes Schweigen. „Sind Sie sehr einsam?“
Darauf gab ich keine Antwort. Nach einem Augenblick fügte Jenny hinzu:
„Ich meine, gibt es noch andere wie Sie?“
„Ich habe es lange gehofft. Ich habe lange nach jemandem gesucht, der mir ähnlich ist. Ich hätte von einem solchen Fall erfahren – oder meine Ärzte. Nein, es gibt keinen anderen Sterblichen, Jenny. Finden Sie das beruhigend?“
Diesmal antwortete sie nicht.
„Früher hätte ich gern Kinder gehabt“, sagte ich, mehr an die Delphine gerichtet. „Vielleicht aus eigennützigen Motiven: Dann hätte es noch andere Menschen wie mich geben können. Aber ich habe keine in die Welt gesetzt. Man gewöhnt sich daran – nach einer Weile.“
„Wirklich?“
„Nein.“
Ich hörte, wie sie ihre Sitzposition ein wenig veränderte.
„Schmerzt es?“ fragte sie.
„Manchmal. Gewisse Dinge.“
„Zum Beispiel?“
Ich wandte mich ihr zu, die Wange auf dem Arm. „Wir sind ein bißchen morbid, was?“
Sie errötete und hob abwehrend die Hand. „Ich will Sie nicht aushorchen. Es ist … es ist nicht für mich.“
„Dann sollten die anderen doch wohl selbst ihre Fragen stellen können, oder meinen Sie nicht?“ gab ich schroff zurück, wandte mich wieder ab und beobachtete die Delphine. Aber Jenny ging nicht fort, und als ich ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zuwarf, ruhte ihr Kopf ebenfalls auf verschränkten Armen, und sie sah wie ich den herumtollenden Leibern vor uns zu.
„Tobias ist ziemlich launisch, nicht wahr?“ fragte sie plötzlich.
„Mag sein.“
„Wissen Sie, warum?“
„Woher sollte ich? Er macht seine Arbeit, ich mache meine.“
„Aber Sie haben viel Zeit zusammen verbracht, während der Tauchgänge und so.“
„Er macht seine Arbeit, ich mache meine. Er ist mir nicht besonders zugetan.“
„Nun, Sie sprühen auch nicht gerade vor Freundlichkeit“, gab sie leicht erregt zurück.
„Sollte ich das? Er gibt sich die allergrößte Mühe, mir deutlich zu machen, was er von mir hält. Kein Gesetz schreibt mir vor, Leute zu lieben, die mich hassen.“
„Es ist kein Haß“, setzte sie an.
„Nein? Dann ist es irgend etwas, das dem verdammt nahekommt. Ich habe genügend Probleme, auch ohne Tobias und sein Gefühlsleben.“
„Es ist kein Haß“, wiederholte sie. „Es ist …“ Und sie biß
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