Versunkene Inseln
Brüsten, Tia?“
„HALTS MAUL!“
„Er läßt die Kerze noch ein bißchen brennen, was?“
„Halt deine verdammte Fresse!“ schrie ich und warf die schwere Tür hinter mir zu. Durch die dicke Täfelung konnte ich widerhallende Rufe hören, aber ob es weitere Beschimpfungen von Benito waren oder nur die Echos unserer Schreie, konnte ich nicht sagen.
Ich zwang mich dazu, langsam durch die Korridore der Ilium zu gehen. Ich schwebte durch Liftröhren hinauf, schritt durch gewölbte Kolonnaden und kletterte archaische Wendeltreppen empor, die sich an die Flanke des Schiffes schmiegten. Schließlich erreichte ich eines der leeren Minarette. Die zwiebelförmige Kristallkammer ganz oben würde zur Astronavigation benutzt werden, doch jetzt war sie leer und still und verlassen. Ich sah aus dem Fenster und betrachtete den Schaum, der hinter dem Heck des Schiffes zurückblieb, rechts von mir. Wir liefen langsam nach Südwesten und schienen die Wellenhaut des Meeres kaum zu berühren. Das letzte Land war vor Tagen über den Rand der Welt hinausgekippt. Wir hätten mit dem ganzen Schiff aufsteigen und eine Stunde nach dem Auslaufen über den Inseln sein können, aber es gab keine Eile – es gab niemals Eile an Bord eines Schiffes, das eine ganze Ewigkeit verschwenden konnte. Und so erstreckte sich vor und hinter uns das Meer; Schaum gleißte im Kielwasser, und die Abendsonne ließ Balken aus Licht durch die Buntglasfenster hinter mir tropfen und sprenkelte den marmornen Boden mit satten Rottönen. Der Wind war warm und angenehm.
„Bist du in ihn verliebt, Tia?“ Verliebt? In Paul? Nein, natürlich nicht. Nicht das Atemstocken und Fehlen von Worten, nicht die plötzliche Euphorie in den Gedanken, nicht die durch die Adern schäumende, blendende Hitze, die ich mit Greg erlebt hatte. Sicher, es gab eine Gemeinsamkeit in beiden Fällen: Bei keinem von beiden hatte ich in meinem Herzen die quälende Sehnsucht empfunden, wenn mein Geliebter nicht bei mir war, die Leere, die mit der Trennung einhergeht. Aber bei Greg hatte mich, abgesehen von jenen letzten Monaten, eine tiefe Ruhe erfüllt, eine absolute Gewißheit der Zusammengehörigkeit, das Wissen, daß die Trennungen, wie kurz oder lang sie auch sein mochten, nur vorübergehend waren, daß unsere Herzen und Seelen eine feste Einheit bildeten. Es bestand kein Grund zu Unruhe oder Furcht. Und bei Paul war diese Ruhe nur ein Resultat von, nun, wenn nicht Gleichgültigkeit, so doch zumindest einer nicht tiefgehenden Leidenschaft. Ich hatte Greg geliebt, ihn gebraucht, und das Verlangen nach ihm hatte mir keine Schmerzen bereitet. Paul liebte ich nicht – wie kann man auch einen Fremden lieben? Und deshalb existierte das Verlangen nach ihm auch nicht.
Doch ich handhabte diese Situation nicht, indem ich sie mit einem Achselzucken abtat, indem ich die Empfindungen fein säuberlich etikettierte und ablegte und hoffte, sie würden sich dann ordentlich betragen und mir keine Schwierigkeiten mehr machen. In dieser seltsamen Beziehung gab es einige Sehnsüchte und Wünsche, die ich vor langer Zeit heftig bekämpft hatte und die ich heute noch mehr als damals fürchtete. Warum schlief Paul mit mir? Warum begehrte er mich? Schlichte, physische Anziehungskraft konnte nicht der Anlaß sein für seine nächtlichen Begierden, wenn man so wie er von der physischen Attraktivität einer Jenny oder Lonnie umgeben war, oder, was das betraf, auch der von Tobias. Düstere Melancholie schien hinter diesen beiden Fragen zu lauern; ich wich ihnen aus, und als ich mir die schlichte Antwort gab, wußte ich, daß das Problem dennoch nicht geringer wurde: Paul mochte mich einfach – er erinnerte sich an Venedig, und vielleicht hatte er auch ein
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