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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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einen Kor­ri­dor, voll be­la­den mit di­ver­sen Ein­zel­tei­len mei­nes Naß­an­zugs, und To­bi­as kommt mir aus der Tauch­kam­mer ent­ge­gen, ein Ma­no­me­ter in der Hand. Ich wei­che aus, doch er lehnt sich auf die Sei­te und blo­ckiert mei­nen wei­te­ren Weg. Sei­ne Au­gen bren­nen.
    „Ti-a“, sag­te er und macht aus mei­nem Na­men zwei ein­zel­ne Sil­ben. „Hast du Kin­der, Ti-a?“
    „Hau ab“, brum­me ich und ver­su­che, mich an ihm vor­bei­zu­drän­gen.
    „Kei­ne Kin­der? Kei­ne klei­nen Kin­der?“
    „Was soll das?“ ge­be ich är­ger­lich zu­rück und sto­ße ihn zur Sei­te. Sein Flüs­tern folgt mir durch den Kor­ri­dor: „Kin­der, Kin­der, Kin­der.“ Bis ich durch ei­ne Fall­röh­re stür­ze, mei­ne Sa­chen im Spind ver­staue und auf mein Mi­na­rett flie­he. Doch ich wer­de ihm dies nicht nach­tra­gen: Ich glau­be nicht, daß er weiß, wie sehr die­se Fra­ge schmerzt.
    Ein an­de­res Mal he­be ich mei­nen Blick von ei­nem Aus­stel­lungs­stück im Schiffs­mu­se­um und stel­le fest, daß To­bi­as hin­ter mir steht. Als ich mich um­dre­he, wis­pert er: „Ich bin drei­und­zwan­zig, Ti-a. Ich bin drei­und­zwan­zig.“ Dann gibt er sei­nem Schwe­ber einen Stoß und saust durch die Pas­sa­ge fort. Ich zu­cke mit den Ach­seln und wen­de mich wie­der der Vi­tri­ne zu. Das ist To­bi­as: Er steht im­mer dicht am Rand des Ab­grunds, in dem das Cha­os sei­nes Emo­ti­ons­la­by­rinths auf ihn lau­ert. Warum? Weiß Jen­ny dar­über Be­scheid? Aber das spielt ei­gent­lich auch kei­ne Rol­le. To­bi­as kocht.
     
    Jen­ny ist eben­falls von tie­fem Zorn er­füllt; sie ist völ­lig durch­ein­an­der und auf der Su­che nach Ra­tio­na­li­tät. Sie ver­sucht, einen nicht faß­ba­ren Fak­tor zu iso­lie­ren, und sie er­schöpft ih­re Wut in falschen In­ter­pre­ta­tio­nen, mit ei­ner oft­mals ver­geb­li­chen Jagd nach Ein­sicht und Be­grei­fen. Jen­nys Qual wird falsch ver­stan­den, und sie ver­hin­dert den Er­folg ih­rer Su­che selbst, da sie es ab­lehnt, das Of­fen­sicht­li­che zu ak­zep­tie­ren. Je­den­falls ist das mei­ne Mei­nung. Lon­nie hält sie für auf­dring­lich, Be­ni­to für tö­richt und Paul für dumm.
    Trotz des Son­nen­scheins wirkt sie blas­ser als noch vor ei­ner Wo­che an der Küs­te. Sie scheint ner­vö­ser zu sein, in sich selbst ver­sun­ken. Die Bli­cke, die sie Paul zu­wirft, sind nicht mehr haß­er­füllt, son­dern drücken nun Ver­wir­rung aus, fast Ver­ständ­nis und Mit­leid. Doch sie weicht mir noch im­mer aus, trotz un­se­res Ge­sprächs auf dem von der Son­ne be­schie­ne­nen Mi­na­rett. Ich bin nicht si­cher, ob ich Jen­ny ver­ste­he; ich bin si­cher, daß ich sie mag. Doch Schön­heit und Zer­fall ver­tra­gen sich nicht.
     
    Wäh­rend ei­nes nächt­li­chen Spa­zier­gangs kom­me ich an Lis Ka­bi­ne vor­bei und ver­neh­me Mu­sik. Ich will ei­gent­lich nicht lau­schen, aber ich hö­re den­noch, wie un­ser fet­ter und al­ber­ner Koch zur Be­glei­tung ei­nes Sai­ten­in­stru­ments singt, und was er singt ist sanft und un­kom­pli­ziert und un­sag­bar trau­rig. Ich bin da­von tief be­wegt und klop­fe lei­se an die Ka­bi­nen­tür. Li legt das In­stru­ment fort. Lon­nie und Hart bli­cken über­rascht auf, und al­le ge­ben ner­vö­se ki­chern­de Be­mer­kun­gen von sich. Ich ge­he so­fort wie­der, und kurz dar­auf er­tö­nen die ge­zupf­ten Klän­ge des In­stru­ments er­neut.
     
    Und Be­ni­to, für den ich nun Luft bin, tref­fe ich über­haupt nicht.
     

30
     
    „Paul?“
    Er be­fand sich nicht in der Tauch­kam­mer, wo ich ihn jetzt hät­te an­tref­fen sol­len, auch nicht im Mu­se­um, wo er sich oft auf­hielt. Er­neut blick­te ich mich in der Hal­le su­chend um, stemm­te die Ar­me in die Hüf­ten und wand­te den In­stru­men­ten­an­zei­gen den Rücken zu. Wir soll­ten in Kür­ze un­ser Ziel­ge­biet über den In­seln er­rei­chen, und ich hat­te Paul ge­be­ten, in die Tauch­kam­mer zu kom­men, da­mit wir vor dem ers­ten Tauch­gang am nächs­ten Mor­gen noch ei­ne Tro­cken­übung mit sei­ner Aus­rüs­tung durch­füh­ren konn­ten und er sich un­se­re Tauch­vor­schrif­ten ins Ge­dächt­nis zu­rück­rief. Ich hat­te nicht er­war­tet, daß er

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