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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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all­mäh­lich in den Herbst über, und mei­ne Kur­se wech­sel­ten. Ich kann­te die Uni­ver­si­täts­stadt in­zwi­schen in- und aus­wen­dig, und ich ent­wi­ckel­te mich präch­tig.
    Ei­ner die­ser neu­en Kur­se im Herbst fand in ei­nem La­bo­ra­to­ri­um für kom­pa­ra­ti­ve Bo­ta­nik statt. Und da vie­le der Un­ter­su­chungs­ge­gen­stän­de zum Ge­dei­hen Um­welt­be­din­gun­gen be­nö­tig­ten, die den kli­ma­ti­schen Ge­ge­ben­hei­ten auf dem Mars ent­spra­chen, von wo sie stamm­ten, wur­de die­ser Kurs auf die al­te Art und Wei­se durch­ge­führt – ei­ne Grup­pe von Stu­den­ten traf sich zwei­mal pro Wo­che in dem großen La­bo­ra­to­ri­um na­he dem Stadt­zen­trum. Die­ses Ge­bäu­de war eben­falls re­stau­riert wor­den. Brei­te, stei­ner­ne Trep­pen führ­ten hin­auf zu den Ko­lon­na­den und der Säu­len­hal­le, und an den ho­hen, grau­en Wän­den zo­gen sich lan­ge Rei­hen von Bo­gen­fens­tern da­hin. Die Säu­len­hal­le war ein be­lieb­ter Start­platz für uns. Sie grenz­te di­rekt an einen ver­kehrs­rei­chen und be­leb­ten Platz, und wir ge­nos­sen das Ver­gnü­gen, zwi­schen den ver­zier­ten Säu­len her­vor­zu­sau­sen und über die Köp­fe von Ein­käu­fern und Passan­ten hin­weg­zu­sch­wir­ren. Na­tür­lich kam es zu Be­schwer­den, und wir wur­den ge­rügt. Doch wir konn­ten ein­fach nicht der Ver­su­chung wi­der­ste­hen, über die Men­ge auf dem Platz zu se­geln und mit un­se­ren Lif­tern Pur­zel­bäu­me zu schla­gen in der mil­den spa­ni­schen Luft.
    Ei­nes Ta­ges blieb ich sehr lan­ge im La­bo­ra­to­ri­um, da ich be­ab­sich­tig­te, ein ei­ge­nes Ex­pe­ri­ment zu En­de zu füh­ren. Ich woll­te einen ir­di­schen Kak­tus, ei­ne Mam­mi­la­ria co­lin­sii, mit ei­ner mar­sia­ni­schen By­ran­tia obe­sa kreu­zen. Ich war jung, und es küm­mer­te mich nicht im ge­rings­ten, daß selbst be­gab­te­re und fä­hi­ge­re Bo­ta­ni­ker als ich die­ses Kunst­stück nicht fer­tig­brach­ten. Ich saß al­so an mei­nem Ar­beit­s­tisch, völ­lig in An­spruch ge­nom­men von der selbst­ge­stell­ten Auf­ga­be, und ich sah erst dann wie­der auf, als sich das Licht ver­än­der­te. Die Wän­de hat­ten ih­ren für den Abend pro­gram­mier­ten Glanz an­ge­nom­men, und mei­ne üb­li­che Es­sens­zeit lag be­reits ei­ni­ge Stun­den zu­rück. Mein Ma­gen be­schwer­te sich ru­mo­rend, als ich die In­stru­men­te sorg­fäl­tig an ih­ren Platz zu­rück­stell­te, ei­ni­ge letz­te Ein­tra­gun­gen schrieb und den Keim­ling in die Ge­deih­kam­mer schob. Ich ver­ließ das Ge­bäu­de, warf mir den Lif­ter über die Schul­tern und blieb einen Au­gen­blick lang am Rand der Säu­len­hal­le ste­hen und be­ob­ach­te­te das abend­li­che Ge­drän­ge.
    Der Platz und der Luftraum dar­über wa­ren vol­ler Men­schen. Sie gin­gen spa­zie­ren und aßen und tran­ken in den Ca­fes, in der üb­li­chen bun­ten Mi­schung aus ver­schie­de­nen Klei­dungs­sti­len und hier und da ei­nem Hauch von Nackt­heit. Der Glanz der un­ter­ge­hen­den Son­ne und der Schim­mer der Haus­wän­de ent­lang des Plat­zes ho­ben je­de ein­zel­ne Per­son ganz deut­lich her­vor, ga­ben al­len ei­ne in­di­vi­du­el­le Au­ra aus Licht und Schat­ten, aus leuch­ten­dem Fun­keln und mat­tem Dun­kel. Und als ich mich ge­ra­de ab­sto­ßen und über sie hin weg­flie­gen woll­te, nahm ich die Ge­samt­heit die­ser viel­fa­cet­tier­ten Men­ge plötz­lich als et­was wahr, das völ­lig von mir ge­trennt war. Ich spür­te die Um­klam­me­rung mei­ner ei­ge­nen Haut und be­griff gänz­lich und to­tal, wie un­ge­heu­er ein­sam ich war, wie al­lein, wie sehr im In­nern des Uni­ver­sums mei­ner Haut ge­fan­gen. Ich, Tia, ab­seits, voll­kom­men an­ders­ar­tig, un­be­rührt, das ein­zi­ge le­ben­de Ge­schöpf in mei­ner Welt. Die­ses Ge­fühl über­wäl­tig­te mich mit der In­ten­si­tät, mit der Pro­phe­ten vor Tau­sen­den von Jah­ren ei­ne Be­geg­nung mit Gott er­fah­ren ha­ben muß­ten, ei­ne tran­szen­den­ta­le Ver­schmel­zung von in­di­vi­du­el­ler und ab­so­lu­ter Wahr­heit. Es war ei­ne Emp­fin­dung, die nicht in ers­ter Li­nie nur den Geist er­faß­te,

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