Versunkene Inseln
allmählich in den Herbst über, und meine Kurse wechselten. Ich kannte die Universitätsstadt inzwischen in- und auswendig, und ich entwickelte mich prächtig.
Einer dieser neuen Kurse im Herbst fand in einem Laboratorium für komparative Botanik statt. Und da viele der Untersuchungsgegenstände zum Gedeihen Umweltbedingungen benötigten, die den klimatischen Gegebenheiten auf dem Mars entsprachen, von wo sie stammten, wurde dieser Kurs auf die alte Art und Weise durchgeführt – eine Gruppe von Studenten traf sich zweimal pro Woche in dem großen Laboratorium nahe dem Stadtzentrum. Dieses Gebäude war ebenfalls restauriert worden. Breite, steinerne Treppen führten hinauf zu den Kolonnaden und der Säulenhalle, und an den hohen, grauen Wänden zogen sich lange Reihen von Bogenfenstern dahin. Die Säulenhalle war ein beliebter Startplatz für uns. Sie grenzte direkt an einen verkehrsreichen und belebten Platz, und wir genossen das Vergnügen, zwischen den verzierten Säulen hervorzusausen und über die Köpfe von Einkäufern und Passanten hinwegzuschwirren. Natürlich kam es zu Beschwerden, und wir wurden gerügt. Doch wir konnten einfach nicht der Versuchung widerstehen, über die Menge auf dem Platz zu segeln und mit unseren Liftern Purzelbäume zu schlagen in der milden spanischen Luft.
Eines Tages blieb ich sehr lange im Laboratorium, da ich beabsichtigte, ein eigenes Experiment zu Ende zu führen. Ich wollte einen irdischen Kaktus, eine Mammilaria colinsii, mit einer marsianischen Byrantia obesa kreuzen. Ich war jung, und es kümmerte mich nicht im geringsten, daß selbst begabtere und fähigere Botaniker als ich dieses Kunststück nicht fertigbrachten. Ich saß also an meinem Arbeitstisch, völlig in Anspruch genommen von der selbstgestellten Aufgabe, und ich sah erst dann wieder auf, als sich das Licht veränderte. Die Wände hatten ihren für den Abend programmierten Glanz angenommen, und meine übliche Essenszeit lag bereits einige Stunden zurück. Mein Magen beschwerte sich rumorend, als ich die Instrumente sorgfältig an ihren Platz zurückstellte, einige letzte Eintragungen schrieb und den Keimling in die Gedeihkammer schob. Ich verließ das Gebäude, warf mir den Lifter über die Schultern und blieb einen Augenblick lang am Rand der Säulenhalle stehen und beobachtete das abendliche Gedränge.
Der Platz und der Luftraum darüber waren voller Menschen. Sie gingen spazieren und aßen und tranken in den Cafes, in der üblichen bunten Mischung aus verschiedenen Kleidungsstilen und hier und da einem Hauch von Nacktheit. Der Glanz der untergehenden Sonne und der Schimmer der Hauswände entlang des Platzes hoben jede einzelne Person ganz deutlich hervor, gaben allen eine individuelle Aura aus Licht und Schatten, aus leuchtendem Funkeln und mattem Dunkel. Und als ich mich gerade abstoßen und über sie hin wegfliegen wollte, nahm ich die Gesamtheit dieser vielfacettierten Menge plötzlich als etwas wahr, das völlig von mir getrennt war. Ich spürte die Umklammerung meiner eigenen Haut und begriff gänzlich und total, wie ungeheuer einsam ich war, wie allein, wie sehr im Innern des Universums meiner Haut gefangen. Ich, Tia, abseits, vollkommen andersartig, unberührt, das einzige lebende Geschöpf in meiner Welt. Dieses Gefühl überwältigte mich mit der Intensität, mit der Propheten vor Tausenden von Jahren eine Begegnung mit Gott erfahren haben mußten, eine transzendentale Verschmelzung von individueller und absoluter Wahrheit. Es war eine Empfindung, die nicht in erster Linie nur den Geist erfaßte,
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