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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Paul war ein sanfter Liebhaber; er nahm sich Zeit, bewegte sich langsam, schrieb mir mit der Zunge meinen Namen ins Ohr. Und als er kam, hielt ich ihn ganz fest und wiegte ihn auf dem Bett. Die Heftigkeit seines Orgasmus und seine Schreie steigerten meine Erregung rasch wieder und ließen die Ekstase in mich zurückfluten. Argwöhnisch selbst im Entzücken rätselte ich über das Warum – ob er einfach nur mit irgend jemandem hatte schlafen wollen und in seiner Notlage selbst mit mir vorlieb nahm, oder ob er mit jemandem gewettet hatte, mit Jenny vielleicht. Aber er blieb auch jetzt über mir und schenkte mir ein so strahlendes Lächeln, daß mein Mißtrauen dahinschmolz wie Schnee in der Sonne und ich sein Lächeln erwiderte. Nach einer Weile liebten wir uns erneut. Diesmal warfen wir die Decke zu Boden, und auf dem Bett schlangen sich zwei nackte und unbedeckte Körper ineinander. Und als ich erneut den Höhepunkt erreichte, fühlte ich mich wieder jung, vom Kopf bis zu den Zehenspitzen, zum erstenmal seit fünfzig Jahren.
     

15
     
    Vor fünfzig Jahren besaß ich Venedig. Zumindest glaubte ich das. Die Große Formung hatte auch vor den sumpfigen Überbleibseln dieser Stadt nicht haltgemacht und sie vereinnahmt, aber sie war unter den nun wieder sauberen und kristallklaren Wassern der Adria wieder aufgebaut worden. Silberreine Fluten schimmerten über der uralten Stadt. Wiederaufgebaute Paläste funkelten in ihren schützenden Ergblasen. Fische huschten über die Piazze, glitten an Kristallfenstern vorbei und sausten an den Säulen und Mauern der restaurierten Ruinen entlang. In Ergblasen gehüllte Besucher bewegten sich wie in einem Traum gefangen, dahinkriechende Lichter. Venedig. Paul und ich verließen die Transportröhre und schlüpften in die Nässe des Meeres, tief hinein in das Gold und Blau und Scharlachrot, in die Irrgärten aus Stein und Sanftheit, in den Brokat, Marmor, Samt, Granit und Schlick. Das Kind, das ich damals war, atmete tief durch, davon überzeugt, daß die Luft aus einer anderen Epoche stammte, die Düfte und Aromen Erinnerungen an vergangene Zeitalter waren. Ich hielt Pauls Hand, hüpfte mit vor Ehrfurcht großen Augen durch die Korridore, und mein helles Lachen perlte durch die helle und schillernde Stadt. Die Hinweisbänder behaupteten, Venedig sei eine schmutzige Stadt gewesen, aber das glaubte ich nicht. Wir tanzten mit den Fischen im Sonnenschein; wir aßen und tranken in Zimmern, in denen noch immer die Musik von anderen Stimmen und anderen Epochen widerhallte. Ich kaufte mir einen pflaumenfarbenen Umhang und einen weißen Kragen, und Paul erstand einen Federhut. Zusammen stolzierten wir durch rekonstruierte Hallen, spielten Doge und Hofdame, bis wir uns gegenseitig in die Arme fielen, nach Luft schnappten und eine stille Ecke suchten, um uns zu lieben. Wir fanden eine Spiegelkammer, und ich sehe noch immer ganz deutlich ein junges Mädchen mit wogendem, kastanienbraunem Haar und einem wohlgeformten, bronzefarbenen Körper, nur gekleidet in einen weiten Umhang und Halskragen. Anmutig tanzte es mit seinem eigenen Spiegelbild, neben der schlanken Pracht, die Paul war, die er heute noch ist. Ich glaube, wir waren bis über beide Ohren verliebt, in uns selbst, in uns beide, in die Kristalle, in Venedig.
    Von Venedig aus kehrte ich nach Südafrika zurück, und das Spiegelbild verblaßte.
    Jetzt, ganze Zeitalter später, als ich mit Paul in einem altertümlichen Bett lag und auf den Pazifik hinausblickte, focht ich erneut diesen bitteren Kampf aus. Das ist Paul, sagte ich mir, der gleiche Paul, der mit mir in einem Raum aus Kristallen tanzte, der mit mir durch marmorne Torbögen sprang. Wer erinnert sich noch an das vergessene Kind, die Tia, die einst war? Wer liebte jenes Kind? Ja, gewiß: Paul. Aber konnte er auch das lieben, was aus diesem Mädchen geworden war? Ich rief mir die Intensität seiner Erregung ins Gedächtnis zurück, mit der er in mich eingedrungen war, und ich fragte mich, ob er mit der Tia von damals oder der von heute geschlafen hatte. Und wenn mit der Tia von heute, warum? Eine Frage führte zur anderen und die wieder zu einer anderen, und ich wollte ihren hallenden Echos nicht lauschen, verbannte sie in die dunkelsten Verliese meines Geistes und verriegelte die Kerkertüren hinter ihnen. Laß dich nicht von Argwohn infizieren, wies ich mich an. Zweifle nicht. Gib dich einfach hin. Und ich gab mich hin.
     

16
     
    „Hallo, Kleine. Ein bißchen Zaungast spielen,

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