Versunkene Inseln
was?“
Ich drehte mich rasch um, wandte mein Gesicht dem heißen australischen Wüstenwind zu und starrte in der grellen Sonne auf die Gestalt, die hinter mir aufgetaucht war. Die Stimme hatte ganz und gar nicht freundlich geklungen.
„Nein. Eigentlich nicht.“
Die Gestalt gab einen zweifelnden Laut von sich. Wer immer es auch war, er stand direkt vor der untergehenden Sonne, und ich konnte kaum die Konturen erkennen. Die Gestalt schien mich anzustarren, und ich duckte mich unwillkürlich, hob die Arme und legte die Hände auf die Schultern.
„Dann bist du also eine von uns“, stellte die Stimme fest und lachte. „Wunderbar, Kleine, echt stark. Also komm mit. Es bringt nichts, wenn du dich hier braten läßt.“ Die Gestalt bewegte sich, griff meine Tasche und schritt auf den Terminal zu. Ich zögerte einen Augenblick, dann folgte ich und versuchte, mir den Sand aus den Augen zu reiben.
Australien, Land des schwarzen Mannes, der Schatten, Gerüchte und Furcht. Die Heimat der Ausgestoßenen und des Entsetzens. Unsterbliche schilderten flüsternd seine Schrecken, und Kinder nannten seinen Namen, um sich gegenseitig Angst zu machen. Ich hatte erwartet, von einer Abordnung wandelnder Alpträume empfangen zu werden, von einer Delegation aus Horrorgestalten, und ich zwinkerte, konnte aber in dem grellen Glanz der untergehenden Sonne keine Einzelheiten meines Begleiters ausmachen.
Meine Tasche wurde auf Augenhöhe gehoben, dann zu einer eingehenden Überprüfung herumgedreht und wieder gesenkt.
„Von Instanbul? Nun, dann hast du den ganzen Weg hinter dir. Weißt du, wie wir diesen Ort nennen? Quellen der Verdammnis, Australien. Es gibt hier eine ganze Menge von uns, Kleine, und du wirst sie alle kennenlernen. Hast du einen empfindlichen Magen?“
„Ich glaube nicht.“
„Gut.“ Wir traten in den kühlen Schatten des Terminals, und mein Begleiter drehte sich lächelnd um. Ein fehlender Arm, ein riesiges Muttermal, das sich übers ganze Gesicht bis zum Hals hinunter erstreckte, eine einzelne, dichte Augenbraue, die von einer Schläfe zur anderen reichte. Dunkles Feuer in den Augen. Und, unterhalb dieser Häßlichkeit, ein Gesicht von fast atemberaubender Regelmäßigkeit, wunderschöne Züge. Das Lächeln war echt.
Ihr Name war Sal. Sie ließ ihr Gesicht so, weil es sich immer wieder zurück verwandelte, wenn sie sich nicht einmal im Jahr einer Operation unterzog. Warum also die ganze Mühe? Ihren Arm hatte sie durch einen Hüpferunfall verloren. Zuvor war sie Fremdenführerin in London gewesen, und sie hatte so umfassende Kenntnisse über die Stadt und ihre Geschic hte, daß ich ihr manchmal vorwarf, bestimmte Dinge zu erfinden. Sie hatte die Aufgabe übernommen, Neuankömmlinge in Quellen der Verdammnis in Empfang zu nehmen und jene fremden Unsterblichen zu verjagen, die die hiesige Bevölkerung für ein Monstrositätenkabinett hielten. Sie nahm mich unter ihre Fittiche, brachte mich in ihrem Haus unter, in ihrem Bett. Führte mich herum, stellte mich vor. Und fragte nicht, was meine spezielle Entstellung war.
Und ich lernte schnell, daß in Quellen der Verdammnis niemand Fragen stellte. Es reichte, daß man da war; man wurde sofort in die Gemeinschaft der Ausgestoßenen dieser Welt aufgenommen und der Intimsphäre der eigenen speziellen Andersartigkeit überlassen. Bei einigen, wie Sal, war sie offensichtlich: fehlende Arme oder Beine, so schlimme physische Entstellungen, daß sie durch nichts zu verbergen waren. Die Medizin der Unsterblichen war weit fortgeschritten, ja, aber es gab immer noch Dinge, die sie nicht heilen konnten oder nicht wollten oder die zu behandeln sie sich fürchteten. Andere trugen ihre Veränderungen im Innern, und da ich ganz offensichtlich keine körperlichen Schäden aufwies, rechnete man mich den Verrückten zu. Das traf die Sache nur zu genau.
Eine öde Wüste, Muster innerhalb von Mustern. Eine Gruppe von Menschen, die eifrig darauf bedacht war, die Lebensweise der Unsterblichen über den Haufen zu werden. Die anderen nannten sie die Sekte der Ewigen Monster, und unter ihrer äußeren Erscheinung wurden sie immer hilfloser und verzweifelter. Sie verbrachten ihre Zeit damit, Slogans auf Papierblätter zu schreiben, mit denen sie alle zur Verfügung stehenden Wände ihres trostlosen Dorfes bepflasterten. Das Papier trocknete und zerriß beinahe unmittelbar nach dem Ankleben, und die Gebäude waren mit Fetzen von unleserlichen Sprüchen bedeckt. Ich fragte Sal, wie lange
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