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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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gebraucht, und das Verlangen nach ihm hatte mir keine Schmerzen bereitet. Paul liebte ich nicht – wie kann man auch einen Fremden lieben? Und deshalb existierte das Verlangen nach ihm auch nicht.
    Doch ich handhabte diese Situation nicht, indem ich sie mit einem Achselzucken abtat, indem ich die Empfindungen fein säuberlich etikettierte und ablegte und hoffte, sie würden sich dann ordentlich betragen und mir keine Schwierigkeiten mehr machen. In dieser seltsamen Beziehung gab es einige Sehnsüchte und Wünsche, die ich vor langer Zeit heftig bekämpft hatte und die ich heute noch mehr als damals fürchtete. Warum schlief Paul mit mir? Warum begehrte er mich? Schlichte, physische Anziehungskraft konnte nicht der Anlaß sein für seine nächtlichen Begierden, wenn man so wie er von der physischen Attraktivität einer Jenny oder Lonnie umgeben war, oder, was das betraf, auch der von Tobias. Düstere Melancholie schien hinter diesen beiden Fragen zu lauern; ich wich ihnen aus, und als ich mir die schlichte Antwort gab, wußte ich, daß das Problem dennoch nicht geringer wurde: Paul mochte mich einfach – er erinnerte sich an Venedig, und vielleicht hatte er auch ein bißchen Mitleid mit mir. Ich verdrängte diesen Gedanken. Schließlich waren es nicht in erster Linie Pauls Gefühle, die hier eine Rolle spielten, als vielmehr die meinen, versicherte ich mir. Und diese Versicherung selbst war ein sicherer Beweis für fehlende Liebe. Paul war mein letzter Sonnenschein, mein letzter Happen von etwas, das dem Normalen nahekam, das fast mit Freude oder Vergnügen zu umschreiben war. Oder er war vielleicht auch nur Mittel zur Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses. Vor Paul hatte ich sieben Jahre lang in Enthaltsamkeit gelebt und erwartet, auch den Rest meines kurzen Lebens so verbringen zu müssen. Und allein das, so sagte ich mir, war Grund genug, den ungelinderten Schmerz über die von Benito erwähnte Andersartigkeit zu verdrängen, das immer noch so quälende Bewußtsein meiner Mißbildung und des unvermeidlichen Todes. Denn dieses Wissen und die Qual würden ihren Tribut fordern in Form von schlaflosen Nächten und Tagen voller Einsamkeit inmitten vieler Menschen. Im Laufe der Jahre mochten mich noch viele Möglichkeiten erwarten, für die Sünde meiner Einzigartigkeit zu bezahlen, hundert Gelegenheiten zur Buße und zum Bedauern. Doch jetzt noch nicht. Noch war es zu früh.
    Die Sonnenstrahlen fielen nun fast horizontal in die runde Kammer ein; ich band mein Haar fester im Nacken zusammen und ging in die Messe.
    Benito saß am einen Ende des ovalen Tisches, und Paul hatte ihm gegenüber und ein wenig seitlich versetzt Platz genommen. Neben jedem von ihnen war ein Sessel frei. Ohne zu zögern durchquerte ich das Zimmer mit dem gemusterten Kachelboden und ließ mich neben Paul nieder. Benito würdigte mich keines Blickes.
     

25
     
    Fünf Tage vom Festland entfernt. Das tiefe Rumoren der Generatoren im Bauch des Schiffes sagte mir, daß wir den Kurs änderten, und ich setzte mich auf einem Sims meines Minaretts und beobachtete, wie der Bug der Ilium große Dreiecke aus Gischt ins Meer schnitt. Paul hatte in meiner persönlichen Bibliothek ein Buch über Yoga entdeckt, saß nun in seiner Kabine und versuchte, seine Beine zu verknoten. Tobias hatte sich entschlossen, den Tag im Museum zu verbringen, und Harkness und Greville diskutierten vor der Holokarte auf der Brücke. Es gab nur einen Ort, an dem ich sicher sein konnte, nicht gestört zu werden. Und dort hockte ich nun, hoch über dem Flugdeck, auf der davon abgewandten Seite des Minaretts. Meine Beine baumelten zwischen den Stangen des schmiedeeisernen Geländers, und unter mir rauschte die weißgefleckte See.
    „Ähem, Entschuldigung.“
    Ich wandte mich um und schielte zu Jenny hinauf. Sie stand nahe der Wand, mit herabhängenden Armen. Die Hände lagen auf ihren gebräunten Oberschenkeln. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
    „Natürlich.“ Ich deutete auf den Sims; sie nahm vorsichtig Platz und wickelte die Beine um eine der Geländer Stangen. Dann umfaßte sie die Balustrade, beugte sich vor, blickte auf das wogende Blau unter uns hinab, schnappte plötzlich nach Luft und deutete hinaus.
    „Sehen Sie nur! Was ist das?“
    Ich blickte zum Bug hinüber, wo glatte, dunkle Leiber immer wieder aus dem Wasser schnellten.
    „Delphine. Sie schwimmen oft mit uns, nur zum Vergnügen, wie es scheint.“
    „Ich habe einmal in einem alten Buch gelesen,

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