Versunkene Inseln
Verachtung des Sterbens zu pflegen“, riet mir eine Stelle in einem dicken Wälzer, doch die Unsterblichen um mich herum lebten in Furcht vor Verstümmelungen und dem Tod – für alle Ewigkeit. „Frage nie, für wen die Glocke läutet“, belehrte mich eine altenglische Zauberformel. Aber die Glocke würde nur für mich allein läuten; andere sichere Kandidaten gab es nicht. Und mochte mein Tod überhaupt jemanden interessieren? „Wenn wir leben, gibt es keinen Tod, und wenn wir tot sind, gibt es kein Leben“, stellte Epikur feierlich fest. Wer war ich schon, um Trost finden zu können in einer so bescheidenen Philosophie? „Überlaß dich nicht einfach jenem letzten Nichts. Kämpfe, kämpfe gegen das Sterben des Lichts.“ Oh, wie ich die Uralten beneidete. Denn als sie klagten über Tod und Alter, war ihr Kummer allgemein und nicht das unverständliche Heulen eines einzelnen Leidenden inmitten des ewigen Jubelgesangs. Und weiter: „Weder seine Macht noch sein Geld, noch seine Feinde leisten ihm Gesellschaft; der Tod bringt Einsamkeit.“ Interessant, interessant. Also starben auch die Uralten allein. Doch es half nicht. Ich lauschte einem Trauerlied, das für die Opfer der ersten nuklearen Dummheit des Menschen komponiert worden war, und vernahm Zorn und Wut und Angst, aber nichts, das es mir leichter machte, nichts, das mir Zuspruch gab. Aber was spielte das alles auch schon für eine Rolle? Die Menschen waren immer gestorben, jedenfalls bis vor vergleichsweise kurzer Zeit. Es gab nicht eine Ausnahme; niemand war davongekommen. Einige hatten verschiedene Philosophien entwickelt, um zu erklären oder Trost zu finden – aber sie starben trotzdem, wurden ausgelöscht, zerfielen zu Staub, ohne daß sie irgend etwas daran ändern konnten. Ich las viele auf Film gespeicherte Romane und Novellen, in denen meine Vorfahren ihren Spekulationen über ein Leben nach dem Tod freien Lauf gelassen hatten, und in der mich umgebenden Stille lachte ich schallend über die Wunder weiten, die sie in ihrer Phantasie mit soviel Akribie erschaffen hatten.
In diesen Prophezeiungen war kein Platz für mich. Wenn ich sterbe, dann endgültig, zu früh, zu zeitig. Dann werde ich zu einem Gegenstand von historischem Interesse, zum Thema einer medizinischen Abhandlung, die zusammengerollt und in diesem Gebäude abgelegt werden mag, in einem der Räume mit dem Motto „Noch nicht geklärt“. Keine Engelsflügel, keine Höllendämonen, keine Walhalla, kein Garten Eden, kein Styx {3} . Ich sah mir die Filme an, las die Bücher und starrte auf Skulpturen und Gemälde – bis ich glaubte, der Tod selbst schliche sich an mich heran, verborgen in jedem leisen Flüstern der gefilterten Luft, in jedem fernen Schritt in den Gewölben der Bibliothek. Erinnyen? Welchen Verbrechens wurde ich angeklagt? Hörte ich Banshees {4} heulen in den fernen, dunklen Grüften? Das plötzliche, unheilverkündende Rasseln: War es einfach nur irgendeine Maschine oder etwas Düsteres und Finsteres, das sich nun anschickte, die Welt von ihrem einen echten Monster zu befreien? Tia Hamley hatte die Sterblichkeit in die Welt der ewigen Jugend gebracht. Sollte sie dafür nicht von den Göttern die gerechte Strafe erhalten?
Ich floh aus der Bibliothek, legte alle Filme und Speicherbänder zurück, die ich mir ausgeliehen hatte, zerriß meine Notizbücher, löschte die von mir besprochenen Magnetbänder und behielt nur das, was mich von allem am meisten berührte. Eine Elegie, die von einem jungen Mann im Tower von London, Großbritannien, geschrieben worden war, am Abend vor seiner Hinrichtung für ein Verbrechen, daß die Geschichte als zu bedeutungslos
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