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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Ver­ach­tung des Ster­bens zu pfle­gen“, riet mir ei­ne Stel­le in ei­nem di­cken Wäl­zer, doch die Un­s­terb­li­chen um mich her­um leb­ten in Furcht vor Ver­stüm­me­lun­gen und dem Tod – für al­le Ewig­keit. „Fra­ge nie, für wen die Glo­cke läu­tet“, be­lehr­te mich ei­ne alt­eng­li­sche Zau­ber­for­mel. Aber die Glo­cke wür­de nur für mich al­lein läu­ten; an­de­re si­che­re Kan­di­da­ten gab es nicht. Und moch­te mein Tod über­haupt je­man­den in­ter­es­sie­ren? „Wenn wir le­ben, gibt es kei­nen Tod, und wenn wir tot sind, gibt es kein Le­ben“, stell­te Epi­kur fei­er­lich fest. Wer war ich schon, um Trost fin­den zu kön­nen in ei­ner so be­schei­de­nen Phi­lo­so­phie? „Über­laß dich nicht ein­fach je­nem letz­ten Nichts. Kämp­fe, kämp­fe ge­gen das Ster­ben des Lichts.“ Oh, wie ich die Ur­al­ten be­nei­de­te. Denn als sie klag­ten über Tod und Al­ter, war ihr Kum­mer all­ge­mein und nicht das un­ver­ständ­li­che Heu­len ei­nes ein­zel­nen Lei­den­den in­mit­ten des ewi­gen Ju­bel­ge­sangs. Und wei­ter: „We­der sei­ne Macht noch sein Geld, noch sei­ne Fein­de leis­ten ihm Ge­sell­schaft; der Tod bringt Ein­sam­keit.“ In­ter­essant, in­ter­essant. Al­so star­ben auch die Ur­al­ten al­lein. Doch es half nicht. Ich lausch­te ei­nem Trau­er­lied, das für die Op­fer der ers­ten nu­klea­ren Dumm­heit des Men­schen kom­po­niert wor­den war, und ver­nahm Zorn und Wut und Angst, aber nichts, das es mir leich­ter mach­te, nichts, das mir Zu­spruch gab. Aber was spiel­te das al­les auch schon für ei­ne Rol­le? Die Men­schen wa­ren im­mer ge­stor­ben, je­den­falls bis vor ver­gleichs­wei­se kur­z­er Zeit. Es gab nicht ei­ne Aus­nah­me; nie­mand war da­von­ge­kom­men. Ei­ni­ge hat­ten ver­schie­de­ne Phi­lo­so­phien ent­wi­ckelt, um zu er­klä­ren oder Trost zu fin­den – aber sie star­ben trotz­dem, wur­den aus­ge­löscht, zer­fie­len zu Staub, oh­ne daß sie ir­gend et­was dar­an än­dern konn­ten. Ich las vie­le auf Film ge­spei­cher­te Ro­ma­ne und No­vel­len, in de­nen mei­ne Vor­fah­ren ih­ren Spe­ku­la­tio­nen über ein Le­ben nach dem Tod frei­en Lauf ge­las­sen hat­ten, und in der mich um­ge­ben­den Stil­le lach­te ich schal­lend über die Wun­der wei­ten, die sie in ih­rer Phan­ta­sie mit so­viel Akri­bie er­schaf­fen hat­ten.
    In die­sen Pro­phe­zei­un­gen war kein Platz für mich. Wenn ich st­er­be, dann end­gül­tig, zu früh, zu zei­tig. Dann wer­de ich zu ei­nem Ge­gen­stand von his­to­ri­schem In­ter­es­se, zum The­ma ei­ner me­di­zi­ni­schen Ab­hand­lung, die zu­sam­men­ge­rollt und in die­sem Ge­bäu­de ab­ge­legt wer­den mag, in ei­nem der Räu­me mit dem Mot­to „Noch nicht ge­klärt“. Kei­ne En­gels­flü­gel, kei­ne Höl­len­dä­mo­nen, kei­ne Wal­hal­la, kein Gar­ten Eden, kein Styx {3} . Ich sah mir die Fil­me an, las die Bü­cher und starr­te auf Skulp­tu­ren und Ge­mäl­de – bis ich glaub­te, der Tod selbst schli­che sich an mich her­an, ver­bor­gen in je­dem lei­sen Flüs­tern der ge­fil­ter­ten Luft, in je­dem fer­nen Schritt in den Ge­wöl­ben der Bi­blio­thek. Er­in­nyen? Wel­chen Ver­bre­chens wur­de ich an­ge­klagt? Hör­te ich Bans­hees {4} heu­len in den fer­nen, dunklen Grüf­ten? Das plötz­li­che, un­heil­ver­kün­den­de Ras­seln: War es ein­fach nur ir­gend­ei­ne Ma­schi­ne oder et­was Düs­te­res und Fins­te­res, das sich nun an­schick­te, die Welt von ih­rem einen ech­ten Mons­ter zu be­frei­en? Tia Ham­ley hat­te die Sterb­lich­keit in die Welt der ewi­gen Ju­gend ge­bracht. Soll­te sie da­für nicht von den Göt­tern die ge­rech­te Stra­fe er­hal­ten?
    Ich floh aus der Bi­blio­thek, leg­te al­le Fil­me und Speicher­bän­der zu­rück, die ich mir aus­ge­lie­hen hat­te, zer­riß mei­ne No­tiz­bü­cher, lösch­te die von mir be­spro­che­nen Ma­gnet­bän­der und be­hielt nur das, was mich von al­lem am meis­ten be­rühr­te. Ei­ne Ele­gie, die von ei­nem jun­gen Mann im Tower von Lon­don, Groß­bri­tan­ni­en, ge­schrie­ben wor­den war, am Abend vor sei­ner Hin­rich­tung für ein Ver­bre­chen, daß die Ge­schich­te als zu be­deu­tungs­los

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