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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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ver­nünf­tig …“
    „Ver­nünf­tig. Sie ist nicht ein­mal ein mensch­li­ches We­sen! Du bist … du bist fehl­ge­lei­tet, Paul. Du brauchst ärzt­li­che Hil­fe.“ Ih­re Stim­me vi­brier­te.
    „Jen­ny …“
    „Faß mich nicht an!“ schrie sie, und ich stürz­te in mein Schlaf­zim­mer und warf die Tür zu. Mit auf­ein­an­der­ge­preß­ten Zäh­nen und ge­ball­ten Fäus­ten ver­harr­te ich. Kein mensch­li­ches We­sen? Ich? Tia? Sti­che im Rücken, Fal­ten im Ge­sicht, ge­fes­selt an die Schmir­gel­wand der Zeit – ver­dammt und ver­flucht, ich war mensch­li­cher als je­der ein­zel­ne von ih­nen. Ich stamm­te in di­rek­ter evo­lu­tio­närer Li­nie von den Af­fen ab, von Don­ne und Hei­sen­berg, von Pe­tru­kis und Pen­de­re­w­cki, von Li T’ai-po und Lip­pen-cott, dem Va­ter der Im­mor­ta­li­tät, der die Be­hand­lun­gen zu spät ent­wi­ckel­te, um sich selbst noch un­s­terb­lich zu ma­chen. Und sie? Lip­pen­cotts Kin­der? Über­menschen viel­leicht, aber nicht mensch­lich. Nein, ganz be­stimmt nicht. Dar­an konn­te gar kein Zwei­fel be­ste­hen.
    Und wie ich sie um die­se Nicht­mensch­lich­keit be­nei­de­te.
     
    Oben war es still. Ich öff­ne­te das Fens­ter, at­me­te die sal­zi­ge Luft tief ein, be­ru­hig­te mich und be­gann mit dem Pa­cken. Ich hör­te, wie Paul mit dem Lif­ter Ge­päck vom obe­ren Schlaf­zim­mer­bal­kon zum Hüpf er trans­por­tier­te, und kurz dar­auf ge­sell­te sich Jen­ny zu ihm. Sie spra­chen kein Wort mit­ein­an­der, und als ich an­nahm, sie sei­en fer­tig, häng­te ich mir die Ta­sche über die Schul­ter und pol­ter­te die Trep­pe hin­auf.
    Jen­ny war be­reits auf­ge­bro­chen. Der Hüpf er glitt ei­lig die Stra­ße hin­un­ter, ein­gehüllt in ein Si­cher­heits­netz aus Kraft­fel­dern. Ich ver­stau­te die Ta­sche im Kof­fer­raum mei­nes Wa­gens.
    „Ich schät­ze, ich fah­re mit dir run­ter“, sag­te Paul und lä­chel­te. Sein Ge­sicht war ent­spannt, sein Kör­per steif.
    „In Ord­nung. Hat Jen­ny dei­ne Sa­chen mit­ge­nom­men?“
    „Ja.“ Er klet­ter­te in den Bei­fah­rer­sitz und leg­te sorg­fäl­tig die Si­cher­heits­gur­te an. Dann klam­mer­te er sich am Hal­te­griff fest und be­rei­te­te sich dar­auf vor, dem Tod zu trot­zen. Ich schob mich in den Fah­rer­sitz, schnall­te mich an und star­te­te die Ro­to­ren. Ich über­leg­te kurz, ob ich ih­re mit­ge­hör­te Un­ter­hal­tung an­spre­chen soll­te, ent­schied mich da­ge­gen, lös­te die Brem­se und schoß aus der Ga­ra­ge hin­aus. Paul war schre­ckens­bleich, und den gan­zen Weg bis zum Dock hin­un­ter brach­te er kein ein­zi­ges Wort her­vor und um­klam­mer­te ver­zwei­felt den Hal­te­griff.
     

18
     
    Ei­ne Wo­che nach mei­ner An­kunft in Lu­na-Ci­ty faß­te ich den Ent­schluß, län­ger zu blei­ben, und ich nahm mir ei­ne Woh­nung na­he der Bi­blio­thek. Das Apart­ment war klein. Ich war das be­eng­te Le­ben auf dem Mond nicht ge­wohnt, eben­so­we­nig wie die ge­rin­ge Gra­vi­ta­ti­on, und wäh­rend der ers­ten Wo­che in mei­ner Woh­nung stieß ich bei fast je­der Be­we­gung ge­gen ir­gend­wel­che Din­ge. Die Haus­wir­tin un­ten lach­te nur, nann­te mei­ne blau­en Fle­cken „Erd­ma­le“ und gab mir Sal­ben. Bald hat­te ich den Bo­gen raus, wie man sich be­weg­te, oh­ne stän­dig Un­heil an­zu­rich­ten, wie man durch den zen­tra­len Schaft nach un­ten schweb­te und da­bei die Knie beug­te, als hät­te man fes­ten Bo­den un­ter den Fü­ßen. Man sprang eher, als daß man ging, man se­gel­te statt zu lau­fen. Ich moch­te die dar­aus re­sul­tie­ren­de Un­ge­zwun­gen­heit. Ich moch­te die in die Luft von Lu­na-Ci­ty ein­ge­fil­ter­te Fri­sche. Ich moch­te das Ge­fühl, si­cher und ge­schützt in­mit­ten ei­ner le­bens­feind­li­chen Öde zu le­ben. An dem Tag, als mich ein Tou­rist nach dem Weg frag­te, war ich sehr stolz.
    Ich er­forsch­te die Stadt. Mei­ne ers­ten Streif­zü­ge führ­ten durch die ge­wölb­ten Kor­ri­do­re der un­te­ren Ebe­nen na­he mei­ner Woh­nung. Wie son­der­bar, dro­ben einen blau­en Him­mel zu se­hen und zu wis­sen, daß ich mich fünf­zig Me­ter un­ter der Ober­flä­che be­fand und daß der glei­che blaue Him­mel auch

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