Versunkene Inseln
vernünftig …“
„Vernünftig. Sie ist nicht einmal ein menschliches Wesen! Du bist … du bist fehlgeleitet, Paul. Du brauchst ärztliche Hilfe.“ Ihre Stimme vibrierte.
„Jenny …“
„Faß mich nicht an!“ schrie sie, und ich stürzte in mein Schlafzimmer und warf die Tür zu. Mit aufeinandergepreßten Zähnen und geballten Fäusten verharrte ich. Kein menschliches Wesen? Ich? Tia? Stiche im Rücken, Falten im Gesicht, gefesselt an die Schmirgelwand der Zeit – verdammt und verflucht, ich war menschlicher als jeder einzelne von ihnen. Ich stammte in direkter evolutionärer Linie von den Affen ab, von Donne und Heisenberg, von Petrukis und Penderewcki, von Li T’ai-po und Lippen-cott, dem Vater der Immortalität, der die Behandlungen zu spät entwickelte, um sich selbst noch unsterblich zu machen. Und sie? Lippencotts Kinder? Übermenschen vielleicht, aber nicht menschlich. Nein, ganz bestimmt nicht. Daran konnte gar kein Zweifel bestehen.
Und wie ich sie um diese Nichtmenschlichkeit beneidete.
Oben war es still. Ich öffnete das Fenster, atmete die salzige Luft tief ein, beruhigte mich und begann mit dem Packen. Ich hörte, wie Paul mit dem Lifter Gepäck vom oberen Schlafzimmerbalkon zum Hüpf er transportierte, und kurz darauf gesellte sich Jenny zu ihm. Sie sprachen kein Wort miteinander, und als ich annahm, sie seien fertig, hängte ich mir die Tasche über die Schulter und polterte die Treppe hinauf.
Jenny war bereits aufgebrochen. Der Hüpf er glitt eilig die Straße hinunter, eingehüllt in ein Sicherheitsnetz aus Kraftfeldern. Ich verstaute die Tasche im Kofferraum meines Wagens.
„Ich schätze, ich fahre mit dir runter“, sagte Paul und lächelte. Sein Gesicht war entspannt, sein Körper steif.
„In Ordnung. Hat Jenny deine Sachen mitgenommen?“
„Ja.“ Er kletterte in den Beifahrersitz und legte sorgfältig die Sicherheitsgurte an. Dann klammerte er sich am Haltegriff fest und bereitete sich darauf vor, dem Tod zu trotzen. Ich schob mich in den Fahrersitz, schnallte mich an und startete die Rotoren. Ich überlegte kurz, ob ich ihre mitgehörte Unterhaltung ansprechen sollte, entschied mich dagegen, löste die Bremse und schoß aus der Garage hinaus. Paul war schreckensbleich, und den ganzen Weg bis zum Dock hinunter brachte er kein einziges Wort hervor und umklammerte verzweifelt den Haltegriff.
18
Eine Woche nach meiner Ankunft in Luna-City faßte ich den Entschluß, länger zu bleiben, und ich nahm mir eine Wohnung nahe der Bibliothek. Das Apartment war klein. Ich war das beengte Leben auf dem Mond nicht gewohnt, ebensowenig wie die geringe Gravitation, und während der ersten Woche in meiner Wohnung stieß ich bei fast jeder Bewegung gegen irgendwelche Dinge. Die Hauswirtin unten lachte nur, nannte meine blauen Flecken „Erdmale“ und gab mir Salben. Bald hatte ich den Bogen raus, wie man sich bewegte, ohne ständig Unheil anzurichten, wie man durch den zentralen Schaft nach unten schwebte und dabei die Knie beugte, als hätte man festen Boden unter den Füßen. Man sprang eher, als daß man ging, man segelte statt zu laufen. Ich mochte die daraus resultierende Ungezwungenheit. Ich mochte die in die Luft von Luna-City eingefilterte Frische. Ich mochte das Gefühl, sicher und geschützt inmitten einer lebensfeindlichen Öde zu leben. An dem Tag, als mich ein Tourist nach dem Weg fragte, war ich sehr stolz.
Ich erforschte die Stadt. Meine ersten Streifzüge führten durch die gewölbten Korridore der unteren Ebenen nahe meiner Wohnung. Wie sonderbar, droben einen blauen Himmel zu sehen und zu wissen, daß ich mich fünfzig Meter unter der Oberfläche befand und daß der gleiche blaue Himmel auch
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