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Versunkene Inseln

Versunkene Inseln

Titel: Versunkene Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marta Randall
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Fach­ge­bie­ten, aber es sei ihr auch nicht ei­lig da­mit, sie ha­be ei­ne Ewig­keit, um zu ler­nen, Er­fah­run­gen zu sam­meln, es sich an­ders zu über­le­gen und ei­ne neue Wahl zu tref­fen. Al­le Zeit der Welt, und nichts wür­de sich än­dern in all die­sen Äo­nen. Das Be­wußt­sein mei­ner ver­bor­ge­nen An­ders­ar­tig­keit stieg in mir em­por und quäl­te mich; wenn die Wir­tin einen ent­spre­chen­den Ent­schluß ge­faßt hat­te und sich ei­nem an­de­ren Be­tä­ti­gungs­feld zu­wand­te, war ich wahr­schein­lich längst tot. Ich mied die Ge­sell­schaft der Un­s­terb­li­chen und ver­brach­te im­mer mehr Zeit in­mit­ten der la­by­rin­thi­schen Wun­der der Mond­bi­blio­thek.
    Lu­na ist ei­ne dicht­be­völ­ker­te, en­ge Stadt, in der nicht ein Mil­li­me­ter Platz ver­schwen­det ist. Doch die Bi­blio­thek er­hob sich auf ei­ner rie­si­gen, weit­räu­mi­gen Flä­che von ei­nem Qua­drat­mor­gen – ei­ne ge­wal­ti­ge, atem­be­rau­ben­de Skulp­tur. Vom Bo­den­ni­veau aus wa­ren nur die ers­ten zwei Ebe­nen des Ge­bäu­des sicht­bar. Es be­stand aus ge­glie­der­ten Del­toi­den, die wa­ben­för­mig in die Hö­he wuch­sen, ge­ba­det in La­chen aus ge­ma­ser­tem Glanz. Sie wirk­ten so­wohl rie­sig als auch fra­gil, ei­ner­seits sta­bil und fest und an­de­rer­seits so, als ge­nü­ge ein Wind­hauch, um die gan­ze kom­ple­xe Struk­tur ins Wan­ken zu brin­gen. Die­se bei­den ers­ten Ebe­nen ent­hiel­ten ei­ne Viel­zahl von Räu­men, Ge­wöl­ben, Kam­mern und wei­ten Hal­len, die mit Un­ter­la­gen voll­ge­stopft wa­ren – und doch han­del­te es sich nur um die In­dex­be­rei­che. Der Haupt­be­stand­teil des Ge­bäu­des wand sich spi­ra­len­för­mig ins Mond­ge­stein hin­ein und war bis zum Bers­ten ge­füllt mit Ko­pi­en – und manch­mal auch Ori­gi­na­len – von al­len Din­gen, die die Er­de und ih­re Ko­lo­ni­en ge­schaf­fen hat­ten. Je­de Ebe­ne hat­te, wie bei Agru­men, ih­ren Mit­tel­punkt im Haupt­schacht, von dem ra­di­al Kor­ri­do­re nach wei­ter drau­ßen ge­le­ge­nen Räu­men führ­ten: ein rie­si­ges Wa­ben­sys­tem un­ter der Stadt. Die Bi­blio­thek reich­te wei­ter als Lu­na-Ci­ty in den Mond hin­ein, doch je­ne Sek­tio­nen, die mit der Stadt auf glei­cher Hö­he la­gen, ver­füg­ten über ei­ge­ne Zu­gän­ge und wa­ren ver­schie­de­nen Fach­ge­bie­ten ge­wid­met. Ein Sti­pen­di­at konn­te al­so bei­spiels­wei­se sei­nen Wohn­sitz in Sek­ti­on drei von Lu­na auf­schla­gen und auf Ebe­ne drei der Bi­blio­thek sei­ne Stu­di­en und For­schun­gen auf dem Ge­biet der Phy­sik be­trei­ben, oh­ne je­mals ver­ti­ka­le Rei­sen durch Stadt oder Bi­blio­thek un­ter­neh­men zu müs­sen. Für je­ne, die zwi­schen den Ebe­nen und Fach­ge­bie­ten zu wech­seln wünsch­ten, stell­te die Bi­blio­thek Lif­ter zur Ver­fü­gung, und der Zen­tral­schacht diente als brei­te Au­to­bahn durch den Ge­bäu­de­kom­plex. Ich blick­te vom obers­ten Del­to­id der Bi­blio­thek in die­sen Haupt­schacht hin­ab und be­trach­te­te die Lich­ter der sich un­ter mir er­stre­cken­den Ebe­nen, bis sie nur noch klei­ne, glän­zen­de Punk­te in der Fer­ne wa­ren – und ich war nicht ein­mal si­cher, ob ich tat­säch­lich die un­ters­te Sek­ti­on des Ge­bäu­des ge­se­hen hat­te.
    Ich ver­brach­te fast zwei Mo­na­te in der Bi­blio­thek, schritt durch große, wi­der­hal­len­de Räu­me, in de­nen sich nur sel­ten noch je­mand an­ders auf­hielt, und schweb­te mit mei­nem Lif­ter von Ebe­ne zu Ebe­ne. Ich las mich durch gan­ze Äo­nen phi­lo­so­phi­scher Be­trach­tun­gen über die Sterb­lich­keit, das Al­tern, den Tod. Ich be­schäf­tig­te mich mit Wis­sen­schaf­ten und re­li­gi­ösen Dok­tri­nen, mit Ok­kul­tem und Poe­sie. Ich sah mir Bild­auf­zeich­nun­gen ster­ben­der Men­schen an und sann über Skulp­tu­ren und Ge­mäl­de nach. Ich ent­deck­te Pe­tru­kis Trau­ern­de An­dro­me­da, blieb an­dert­halb Stun­den wie er­starrt da­vor ste­hen und lausch­te den Grab­ge­sän­gen und Re­qui­en, bis mir schwin­del­te. „Der bes­te Weg, kei­nen frü­hen Tod zu er­lei­den, ist der, die Freu­den des Le­bens und die

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