Versunkene Staedte
der Arzt schlieÃlich einsehen müssen, dass seine Behausung zu klein war.
Mit Mouses Hilfe und später auch Mahlias, nachdem ihr Armstumpf geheilt war, hatte Doktor Mahfouz Holzbretter auf den Trägerbalken ausgelegt und die Wohnfläche seiner Unterkunft vergröÃert. Mithilfe von rostigem Blech und in Stücke geschnittenen Plastikplanen, die sie irgendwo gefunden hatten, hatten sie das Dach erweitert, um den Regen fernzuhalten. Anfangs hatten sie auch für die Wände Plastikplanen benutzt. SchlieÃlich brauchten sie die Wände nicht als Schutz vor Kälte, nicht einmal in der dunklen Jahreszeit. Doch Sumpfpanther sprangen manchmal auch ins zweite Stockwerk der Häuser, deshalb verstärkten sie die Wände mit Bambus und füllten die Ritzen mit Schlamm und Stroh, bis sie massiv genug waren, um die Bewohner des Hauses und die vermoderten Bücher des Arztes zu schützen.
Im Erdgeschoss befanden sich eine Küche und ein kleiner Not-Operationsraum. In der Küche hingen verbeulte Pfannen an gebogenen Eisenstangen. Ein groÃer Topf, den Mahlia dazu benutzte, Operationsbesteck abzukochen, stand auf einem zylinderförmigen Blechofen bereitâ einem von denen, die die Friedenswächter in den Dörfern rund um die versunkenen Städte verteilt hatten. Die humanitäre Botschaft an der Seite des Ofens lautete: MIT BESTEN WÃNSCHEN FÃR DEN FRIEDEN VON DEN MENSCHEN DER INSEL SHANGHAI , auf Englisch und Chinesisch.
Ein Stück vom Haus entfernt hatte Doktor Mahfouz aus Bauschutt einen Stall gemauert, der beinahe genauso akkurat und gerade dastand, wie die Häuser im Zeitalter der Beschleunigung gewesen sein mussten. Doch das Wichtigste war, dass er ausreichend Schutz vor Kojwölfen und Panthern bot. Ihre Ziege Gabby war neben dem Haus angebunden und fraà Kudzu. Als Mahlia zu ihr ging, stieà sie ein Blöken aus.
» Du bist heute schon gemolken worden « , sagte Mahlia. » Also lass das Gemecker. «
Mahlia sah sich im Haus um. Die Wascheimer waren bereits mit Wasser aus dem Teich gefüllt worden, der sich im Keller des angrenzenden eingestürzten Hauses gebildet hatte. Offenbar war Mouse zu Hause.
Mahlia stieg die Holzleiter zu ihrer Behausung hoch und stemmte sich durch die Falltür nach oben. Der Geruch von Sägespänen und verrottendem Papier schlug ihr entgegenâ die beiden Gerüche, die für sie mehr als alle anderen zu dem Arzt gehörten. Ãberall lagen Bücher aufgestapelt oder drängten sich in grob gezimmerten Regalen an den Wänden. Wenn der Arzt irgendwo Bücher fand, konnte er einfach nicht daran vorbeigehen. Mahlia ging um die Stapel herum.
» Mouse? «
Keine Reaktion.
Anfangs, als Mouse und Mahlia bei dem Arzt eingezogen waren, hatten sie wegen seines Bücherwahns die Augen verdreht. Es hatte keinen Sinn, so viele Bücher anzuhäufen, es sei denn, man wollte sie als Brennmaterial benutzen. Bücher retteten einen nicht vor einer Kugel. Aber Mahfouz hatte Mahlia und Mouse bei sich aufgenommenâ wenn sich die Bücher in seiner Wohnung bis zur Decke stapelten, dann war es eben so. Und wenn er sie bat, ihn zu einem Ort namens Alexandria zu begleiten, dann taten sie das. Der Arzt hatte für sie einiges aufs Spiel gesetzt. Sie schuldeten ihm was.
» Wir gehen nach Alexandria « , hatte Doktor Mahfouz gesagt.
» Warum? « , hatte Mahlia gefragt.
Der Arzt hatte von einer alten Karte aus dem Zeitalter der Beschleunigung aufgesehen. » Weil die Gottesarmee Bücher verbrennt, und wir sie retten werden. «
Er wollte nach Alexandria, bevor die Gottesarmee dort eintraf. Es war ihre letzte Chance, das Wissen der Welt vor der Vernichtung zu bewahren, hatte er gesagt.
Aber natürlich kamen sie zu spät. Als sie in Alexandria eintrafen, war die Stadt nur noch eine rauchende Ruine gewesen. Ãberall lagen Leichen: Menschen, die sich einer Armee in den Weg gestellt hatten. Die mit ihren Körpern Bücher geschützt hatten, statt umgekehrt.
Beim Anblick der vielen Leichen hatte Mahlia nur traurig den Kopf geschüttelt. Verrückte Erwachsene, die Bücher für wichtiger hielten als ihr eigenes Leben. Wenn die Kriegshunde auf einen zugestürmt kamen, dann leistete man keine Gegenwehr, sondern lief davon. So lehrte es Sun Tzu. Einen starken Gegner sollte man meiden. Was Mahlia und Mouse ziemlich selbstverständlich erschien. Diese Leute hatten sich trotzdem
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