Versunkene Staedte
gewehrt.
Deshalb waren sie erschossen und in Stücke gehackt worden. Sie waren verbrannt und mit Säure verätzt worden.
Und ihre Bücher wurden trotzdem vernichtet.
Doktor Mahfouz war vor der niedergebrannten Bibliothek auf die Knie gesunken. Tränen waren ihm über die Wangen gelaufen, und Mahlia hatte plötzlich Angst gehabtâ um ihn, um Mouse und um sich selbst.
Ihr war klar geworden, dass der Arzt keinen Funken Verstand besaÃ. Er war genau wie die Leute, die diese Bibliothek beschützt hatten. Für ein paar Stückchen Papier würde er sein Leben geben. Und sie hatte Angst gehabt. Wenn der Mann, der sich um Mouse und sie kümmerte, so verrückt war, hatten sie keine Chance.
Mahlia schüttelte die Erinnerung ab und rief noch einmal: » Mouse? Wo bist du? «
» Hier oben! «
Mahlia hob die Ecke einer alten Plastikplane mit einem groÃen Patel Global Transit-Logo an und trat vorsichtig auf einen der Eisenträger, die das Haus zusammenhielten. Drei Stockwerke höher saà Mouse auf einem der Balken und lieà die Beine baumeln.
Natürlich.
Mahlia holte tief Luft. Sie zog ihre Sandalen aus und balancierte über den heiÃen, verrosteten Träger. Behutsam setzte sie einen Fuà vor den anderen und lief über die Küche und den improvisierten Operationsraum hinweg, bis sie eine Mauer aus bröckelndem Beton mit frei liegenden Eisenstäben erreicht hatte, an denen sie sich hochziehen konnte.
Sie begann zu klettern, hielt sich mit der linken Hand fest und benutzte die rechte dazu, das Gleichgewicht zu halten. Ihre nackten braunen Zehen fanden auf den Eisenstäben Halt.
Ein Stockwerk, dann noch einesâ¦
Mouse konnte an den senkrechten Trägern hochklettern. Mit seinen dünnen Beinen, den sehnigen Armen und gesunden Händen war er flink wie ein Affe. Mahlia musste dagegen den langsamen Weg wählen.
Noch ein Stockwerkâ¦
Die Welt um sie herum öffnete sich.
Vom fünften Stockwerk aus konnte man auf den Dschungel hinausblicken, der sie umgab und nur hier und dort von den Ruinen der versunkenen Städte unterbrochen wurde, die die Bäume überragten. Alte Autobahnbrücken aus Beton erhoben sich über dem Dschungel wie die Rücken gewaltiger Seeschlangen. Sie waren mit Unkraut überwuchert, und lange Kudzuranken hingen von ihnen herab.
Im Westen lagen im grellen Sonnenlicht die zerstörten Gebäude von Banyan Town und die frei geräumten Felder. An manchen Stellen ragten die Mauern alter Häuser aus den Feldern wie Haifischflossen aus einem Meer. In regelmäÃigen Abständen sah man rechteckige grüne Teicheâ die Keller ehemaliger Häuser, die mit Regenwasser vollgelaufen waren und heute zur Fischzucht dienten. Sie glitzerten wie Spiegel in der heiÃen Sonneâ die mit Seerosen bedeckten offenen Gräber der Vorstadt.
Im Norden erstreckte sich endloser Dschungel. Wanderte man in diese Richtung, vorbei an den Truppen der Kriegsherren, den herumstreunenden Rudeln von Kojwölfen und hungrigen Panthern, erreichte man irgendwann die Grenze. Sie wurde von einer Armee aus Halbmenschen bewacht, die die Kriegsmaden und die halbwüchsigen Soldaten der Kriegsherren daran hindern sollte, die Kämpfe der versunkenen Städte weiter in den Norden zu tragen und Orte wie Manhattan Orleans und Seascape Boston mit ihrer Krankheit anzustecken.
Im Süden und Osten ging der Dschungel in die Salzsümpfe über, dahinter sah man die versunkenen Städte selbst. Weit in der dunstigen Ferne funkelte das Meer.
Mahlia stand auf der hohlen Ruine und blinzelte in das helle Licht. Das Eisen brannte unter ihren FüÃen, und die Sonne schien unbarmherzig auf ihre dunkelbraune Haut. Eigentlich sollte man sich um diese Zeit lieber irgendwo im Schatten verkriechen, aber der blasse und mit Sommersprossen übersäte Mouse saà in der prallen Sonne und schaute auf den Dschungel hinaus. Der dürre kleine Läusefresser hatte rote Haare und einen Sonnenbrand, und seine graublauen Augen wirkten so nervös wie die aller Kriegsmaden, die Mahlia kennengelernt hatte. Er sagte nichts. Starrte nur auf den Dschungel hinaus. Vielleicht blickte er in die Richtung, wo seine Familie früher eine Farm gehabt hatte und wo er einmal glücklich gewesen war, bevor die Soldaten gekommen waren und alles niedergemacht hatten.
Mouse sagte, sein wahrer Name sei Malati Sankt Olmos, als hätte seine Mutter
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