Verteidigung
aber penibel aufgeräumt und sehr sauber. Die einzige Dekoration war ein großes Foto von Aung San Suu Kyi, der Friedensnobelpreisträgerin von 1991 und bekanntesten Regimekritikerin Myanmars. In der Küche stand etwas auf dem Herd, das durchdringend nach Zwiebeln roch. Im Auto hatten sich die Zincs geschworen, dass sie nicht zum Essen bleiben würden, falls sie wider Erwarten eingeladen wurden. Von Thuyas beiden Schwestern war weder etwas zu sehen noch zu hören.
Der fahlgelbe Tee wurde in winzigen Tassen serviert, und nach ein, zwei Schlucken fragte Soe: »Warum wollen Sie mit uns sprechen?«
David trank den ersten Schluck und hoffte, dass es sein letzter sein würde. »Wenn Ihr Sohn tatsächlich eine Bleivergiftung hat und wenn das Blei von einem Spielzeug oder einem anderen Gegenstand in dieser Wohnung kommt, können Sie vielleicht – und ich betone das Wort ›vielleicht‹ – dem Hersteller des gefährlichen Produkts gegenüber einen rechtlichen Anspruch geltend machen. Ich würde in dieser Angelegenheit gern weitere Nachforschungen anstellen, aber ich kann Ihnen nichts versprechen.«
»Soll das heißen, wir könnten Geld bekommen?«
»Möglich. Deshalb macht man einen rechtlichen Anspruch geltend. Aber zuerst müssen wir noch mehr herausfinden.«
»Wie viel Geld?«
Wally würde ihnen jetzt natürlich alles versprechen. David hatte selbst gehört, wie er mehreren seiner Krayoxx-Mandanten eine Million und mehr praktisch garantiert hatte. »Das kann ich nicht beantworten. Es ist noch zu früh. Ich würde gern Nachforschungen anstellen und Beweismaterial für eine Klage sammeln. Einen Schritt nach dem anderen.«
Helen sah ihren Mann voller Bewunderung an. Er machte das gar nicht schlecht, obwohl er sich auf diesem Gebiet nicht auskannte. In seiner Zeit bei Rogan Rothberg war er nicht einmal in die Nähe einer Klage gekommen.
»Okay«, sagte Soe. »Und jetzt?«
»Zwei Dinge«, erwiderte David. »Erstens, ich würde mir gern seine Sachen ansehen. Spielzeug, Bücher, Bett, alles, was eine Quelle für das Blei sein könnte. Zweitens, Sie müssten mir einige Dokumente unterschreiben, damit ich Einblick in seine Krankenakte bekomme.«
Soe nickte Lwin zu, die in einen kleinen Karton griff und einen wiederverschließbaren Plastikbeutel herausnahm. Sie öffnete ihn und legte vier Plastikgebisse mit Vampirzähnen nebeneinander auf den kleinen Beistelltisch – blau, schwarz, grün und rot. Zaw fügte das pinkfarbene Gebiss hinzu, das sie ihnen bei ihrem Besuch am Nachmittag gezeigt hatte, und der Satz war vollständig.
»Die Zähne heißen Nasty Teeth«, sagte Soe.
David starrte den Satz Vampirzähne an und hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass aus dieser Sache eine ganz große Klage werden konnte. Er nahm das grüne Gebiss in die Hand – hartes, aber biegsames Plastik, flexibel genug, um sich leicht öffnen und schließen zu lassen. Er konnte sich gut vorstellen, wie der kleine Thuya mit den Zähnen im Mund seine Schwestern anknurrte und nach ihnen schnappte.
»Ihr Sohn hat damit gespielt?«
Lwin nickte traurig. Soe sagte: »Er hatte sie die ganze Zeit im Mund. Einmal hat er sogar versucht, damit zu essen.«
»Wer hat die Zähne gekauft?«
»Ich«, erwiderte Soe. »Ich habe auch noch ein paar andere Sachen für Halloween gekauft. Sie waren nicht teuer.«
»Wo haben Sie sie gekauft?«, fragte David, der um ein Haar den Atem angehalten hätte. Er hoffte auf eine Antwort wie Walmart, Kmart, Target, Sears, Marshall Field’s – irgendeine Kette, der man tief in die Tasche greifen konnte.
»Auf dem Markt«, antwortete Soe.
»Welchem Markt?«
»Das große Einkaufszentrum. Beim Logan Square.«
»Er meint wahrscheinlich die Mighty Mall«, sagte Helen, und Davids Hoffnungen schwanden. Die Mighty Mall war ein Sammelsurium aus weitläufigen Metallgebäuden, in denen ein Labyrinth aus kleinen Verkaufsständen und Buden errichtet worden war. Dort konnte man fast alles kaufen, was für Geld zu bekommen war, und etliches vom Schwarzmarkt noch dazu. Billige Kleidung, Haushaltswaren, alte Langspielplatten, Sportartikel, gefälschte CDs, gebrauchte Taschenbücher, Modeschmuck, Spielzeug, Brettspiele, unzählige Artikel. Die günstigen Preise zogen Scharen von Käufern an. So gut wie jedes Geschäft lief in bar ab. Buchführung und Quittungen waren keine Prioritäten.
»Waren die Zähne in einer Verpackung?«, fragte David. Auf einer Verpackung würde der Name des Herstellers und vielleicht auch der des Importeurs
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