Vertrau deinem Herzen
direkt aus ihm bezogen worden.
Vor ihrer Ankunft war der Rasen gemäht worden. Mit seinen halb geschlossenen Jalousien sah das Haus aus, als wenn es gerade aus dem Winterschlaf erwachte. Über dem obersten Fenster stand die Zahl 1921, um an das Jahr zu erinnern, in dem das Haus gebaut worden war.
Godfrey James Livingston, ein Einwanderer, der mit Holzhandel ein Vermögen gemacht hatte, hatte das Haus am See in Auftrag gegeben. Seine Fassade aus Holz und Flusssteinen verlief leicht gebogen am Ufer entlang, als wollte es den einzigartigen Blick über den lang gestreckten See mit den sich aus seinen Tiefen erhebenden Bergen umarmen. Die umlaufende Veranda bot einen spektakulären Ausblick über den See.
Godfreys Sohn Waiden war Kates Großvater gewesen. Er war eine gute Seele; allerdings hatte er fast das ganze Familienvermögen innerhalb einer Generation durchgebracht.
Hauptsächlich weil er sich schon zum Naturschützer berufen fühlte, als dieses Wort noch niemand kannte. Schon in den Dreißigerjahren kämpfte Kates Großvater darum, die Wälder zu beschützen. Später, während des Zweiten Weltkriegs, diente er als Sanitäter und bekam einen Bronze Star verliehen, die höchste militärische Auszeichnung der Vereinigten Staaten. Mit dem neu erworbenen Ruf eines Helden erschien er später vor dem Kongress, um seine Forderung nach Begrenzungen für das Schlagen von Bäumen in staatlichen Wäldern vorzutragen. In den Fünfzigerjahren dann wurde er von seinen Feinden als Kommunist denunziert.
Eine Dekade später kam endlich seine große Zeit. Die Blumenkinder der Sechzigerjahre nahmen ihn mit offenen Armen auf. Er und seine Frau Charla, eine unbedeutende Hollywood-Schauspielerin, die einmal eine kleine Rolle in einem Marlon-Brando-Film gehabt hatte, protestierten Seite an Seite mit Hippies und Anarchisten gegen die Zerstörung der Umwelt. Zur akuten Beschämung ihrer erwachsenen Kinder nahmen sie auch an Woodstock teil und rauchten Pot. Waiden wurde ein Volksheld, und er schrieb ein Buch über seine Erfahrungen.
Charla starb, als Kate ein kleines Mädchen war, und ihr Großvater zog zu ihrer Familie. Sie liebte den alten Mann ohne Vorbehalte und verbrachte Stunden damit, bei ihm zu sitzen und auf ihre kindliche Art auf ihn einzuplappern. Sie zweifelte nie daran, dass er gebannt an ihren Lippen hing.
Mit einer Geduld, die man nur als heilig bezeichnen konnte, hörte er zu, wenn sie die gesamte Geschichte von Schweinchen Wilbur und seinen Freunden nacherzählte oder jedes Ausstellungsstück von der Schulmesse in allen Einzelheiten beschrieb. Später, als sie schon Teenager war, war es Großvater Waiden, der sich jeden Montagmorgen ihre Erzählungen von Footballspielen, Partys und Verabredungen des Wochenendes anhörte. Ihr Großvater war der Hüter all ihrer Geheimnisse und Träume. Er war der Erste, dem sie ihr ehrgeiziges Ziel gestand, eine berühmte internationale Reporterin zu werden. Er war auch der Erste, der erfuhr, dass sie in das Begabtenprogramm der University of Washington aufgenommen worden war. Und ihm beichtete sie zuerst, was ihre Zukunft für immer verändern würde: „Ich bin schwanger, und Nathan will, dass ich es wegmache.“
„Zum Teufel mit Nathan!“ Der alte Mann, der damals bereits an den Rollstuhl gefesselt war, winkte lebhaft ab. „Was willst du}“
Ihre Hände rutschten unbewusst zu ihrem noch flachen Bauch. „Ich will dieses Baby.“
In seinen Augen hinter der Brille blitzte es auf. „Ich liebe dich, Katie. Ich werde dir helfen, wo ich nur kann.“
Damit gab er ihr das Wertvollste, was es in diesem Moment gab – seine aus vollem Herzen kommende, nicht verurteilende Zustimmung. Das bedeutete ihr mehr als alles andere. Ihre Eltern unterstützten sie natürlich auch; das war wohl die Rolle, die sie glaubten, spielen zu müssen. Aber ab und zu spürte Kate ihre Frustration. Wir haben dich zu etwas anderem erzogen, als alleinerziehende Mutter zu werden.
Nur ihr Großvater kannte die Wahrheit: dass es keine Karriere oder Berufung gab, die aufregender, fordernder oder lohnender war, als ein Kind aufzuziehen.
Sie liebte ihren Großvater für sein großes Herz und seinen offenen Geist. Für seine Leidenschaft und seine Ehrlichkeit. Sie liebte ihn dafür, dass er sie genauso akzeptierte, wie sie war, mit all ihren Fehlern. Im Laufe der Jahre hatte er ihr viele Ratschläge gegeben. Aber der, der ihr am meisten im Gedächtnis geblieben war, lautete: „Gib niemals auf!“
Sie wünschte,
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