Vertrau deinem Herzen
glücklich, in Florida bleiben zu können.
„Ja, das sage ich“, erklärte Kate. „Ich kann endlich etwas Zeit mit meinem Sohn verbringen. Und ich will herausfinden, was ich einmal werden möchte, wenn ich groß bin.“
„Ihr werdet euch gegenseitig in den Wahnsinn treiben“, prophezeite Georgina.
Kate dachte an das neue Zuhause ihrer Mutter, ein luxuriöses Appartement an einem Golfplatz in Florida. Das würde sie in den Wahnsinn treiben.
Sie ließ Aaron noch kurz mit seiner Großmutter sprechen und rief dann Phil an. Sie erreichte aber nur seinen Anrufbeantworter, auf dem sie eine Nachricht hinterließ. „Okay“, seufzte sie. „Jetzt haben wir uns bei allen gemeldet, die wichtig sind.“
„Das sind ja nicht sonderlich viele.“
„Es geht nicht um die Anzahl der Menschen, sondern darum, wie viel sie einem bedeuten“, bemerkte Kate. Bei dem Gedanken daran, wie sehr sie ihren Bruder und seine Familie diesen Sommer vermissen würde, wurde sie ganz wehmütig. Sie zeigte es jedoch nicht. Sie wollte, dass Aaron glaubte, den Sommer seines Lebens vor sich zu haben. Manchmal würde sie alles dafür geben, eine Schulter zum Ausweinen zu haben, aber sie würde niemals erlauben, dass ihr Sohn diese Rolle einnahm. Sie hatte andere Single-Mütter gesehen, die sich zur emotionalen Unterstützung auf ihre Kinder verließen, und sie fand das nicht fair. Das war nun wirklich nicht die Aufgabe von Kindern.
Letztes Jahr hatte sie einen Lifecoach konsultiert, der sie beraten hatte, wie sie ihr eigener Partner bei der Erziehung von Aaron und in ihrem Leben sein konnte. Er hatte ihr geraten, sich langen, ausführlichen Unterhaltungen mit sich selber hinzugeben. Es hatte nicht geholfen, aber wenigstens hatte sie sich mit jemandem unterhalten, den sie mochte.
„Bereit?“, fragte sie ihren Sohn, als sie das Telefon wegpackte. Sie lenkte den Jeep vom Parkplatz und fuhr auf den Highway 101 Richtung Westen. Die Douglastannen und Zedern wuchsen immer dichter, je weiter sie auf der Halbinsel vorrückten. Über sechzig Meter erhoben sich die moosbe wachsenen Stämme über der zweispurigen Straße und erzeugten einen mystischen, kathedralenähnlichen Effekt, der Kate jedes Mal aufs Neue verzauberte. Die Nachmittagssonne glühte über ihnen und malte rotgoldene Muster auf die Straße.
Diese Straße entlangzufahren ließ in ihr das Gefühl wachsen, eine ganz neue Welt zu betreten. Dies war ein so abgelegener Ort, wo die Stille so breit und tief war wie die urtümlichen Wälder, die den See umgaben. Dank der Umsicht der Parkverwaltung hatte sich das Land hier nicht verändert. Aaron erlebte alles so, wie sie und Phil es als Kinder erlebt hatten und ihr Vater und Großvater vor ihnen. Sie erinnerte sich daran, auf dem Rücksitz des Kombis ihres Vaters zu sitzen, das Fenster heruntergerollt, die kalte Brise des Windes auf dem Gesicht und den fruchtbaren Geruch von Moos und Zedern in der Nase.
Ihr Bruder Phil war vier Jahre älter als sie und hatte damals die Gabe, sie so lange zu ärgern, bis sie weinte. Sie hatte ihm schon vor langer Zeit all die Torturen aus der Kindheit verziehen. Und wie von Zauberhand war ihr Bruder über die Jahre zu ihrem besten Freund geworden.
Fünf Meilen vom See entfernt fuhren sie über den letzten Hügel, auf dem man noch Handyempfang hatte, und zwar auf den Parkplatz von Grammy’s Cafe, wo man den besten Brombeerkuchen der Welt machte.
Am Straßenrand sah sie einen grünen Pick-up stehen. Sie fuhr langsam daran vorbei und sah, dass der Fahrer vornübergebeugt auf der Beifahrerseite stand. Vermutlich wechselte er einen Reifen.
Es war Mr John Deere. Der sie im Supermarkt ausgelöst hatte.
Sie trat auf die Bremse, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr ebenfalls an den Straßenrand. Sie hatte keine Ahnung, wie man einen Reifen wechselte, und sehr wahrscheinlich brauchte oder wollte er auch keine Hilfe, aber sie hielt trotzdem an. Denn ob es ihr gefiel oder nicht, sie war ihm was schuldig.
„Was machst du?“, fragte Aaron.
„Bleib im Wagen!“, befahl sie. „Und lass auf keinen Fall Bandit raus.“ Sie stieg aus und ging zum Pick-up.
Hier, inmitten des Waldes, sah er noch interessanter aus als im Supermarkt. Ein Mann in seinem Element. Plötzlich fühlte Kate sich verletzlich. Das hier war ein einsamer Straßenabschnitt, und wenn er auf die Idee kommen sollte, sie anzumachen, hatte sie ein Problem. Ihr Bruder beschuldigte sie oft, zu naiv und vertrauensvoll zu sein, aber sie konnte nicht
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