Vertrau deinem Herzen
zeigte er Anzeichen von ungenügender Wut- und Impulskontrolle. Eine ganze Anzahl von Tests hatten allerdings keine wie auch immer gearteten Aufmerksamkeits- oder Lernstörungen aufdecken können. Was Kate nicht überrascht hatte. Sie wusste, was Aaron wollte – einen Mann. Eine Vaterfigur. Das war kein Geheimnis. Er sagte es ihr immer wieder, ohne zu ahnen, dass jedes Mal, wenn er es erwähnte, er ihrem Herz einen kleinen Stich versetzte. „Du hast doch deinen Onkel Phil“, sagte sie ihm immer. Und jetzt, wo Phil weggezogen war, hatte sich Aarons Verhalten in der Schule noch verschlimmert. Sie hatte im Zuge dessen einen Abgabetermin zu viel verpasst, eine Eltern-Lehrer-Konferenz zu viel besucht, und Sylvia hatte ihr gekündigt.
Ihre Kehle war mit einem Mal ganz eng vor ungeweinten Tränen. Wirklich, dachte sie, ich sollte dankbar sein, dass mein Sohn gesund ist, dass er seine Familie liebt und meistens ein großartiges Kind ist. Aber diese anderen Zeiten ... Sie wusste oft nicht, wie sie damit umgehen sollte.
Vielleicht war das der Grund, wieso Eltern als Paar gedacht waren. Wenn einer seine Grenze erreichte, konnte der andere den Faden aufnehmen und weitermachen.
Zumindest dachte Kate das. Sie war sich nicht sicher, da sie bei der Erziehung von Aaron nie einen Partner gehabt hatte. Bei seiner Zeugung schon, aber danach war Nathan schneller verschwunden, als sie hatte „Bleib doch“ sagen können.
Kate ging zum Auto und nahm zwei weitere Einkaufstüten heraus. „Wie war’s, wenn du mir hier ein bisschen hilfst?“, rief sie Aaron zu.
Er sauste über den Rasen, das Gesicht hochrot. Er roch bereits nach neuen Blättern und frischer Luft. „Klar, bin schon da“, sagte er.
In der Küche stellte Kate die Tüten auf die Arbeitsplatte aus geschrubbter Pinie. In der Spüle stand ein halb volles Glas Wasser. Sie schüttete es weg. Wahrscheinlich hatten die Putzleute es vergessen. Sie packte die Einkäufe in den Kühlschrank, öffnete dann das Gefrierfach und fand eine abgedeckte Plastikschüssel mit einer Gabel darin.
„Was zum ...“, fluchte Kate. Sie nahm die Schüssel heraus und warf sie direkt in den Müll. Gott allein wusste, wie lange sie schon da dringestanden hatte!
„Was ist das?“, fragte Aaron.
„Nichts. Die Putzfrauen haben ein paar Dinge übersehen. Ich werde Mrs Newman wohl darauf ansprechen müssen.“ Sie verstaute die restlichen Lebensmittel und ließ Aaron draußen mit Bandit Stöckchen werfen spielen.
Dann nahm sie sich zwei Koffer und stieg die Treppe hinauf. Da sie und Aaron diesen Sommer alleine waren, entschied sie sich, das Hauptschlafzimmer zu nehmen. Es hatte ein großes Gaubenfenster mit einem wunderschönen Blick über den See, und man fühlte sich wie auf der Brücke eines Schiffs. Sie hatte dieses Zimmer noch nie bewohnt, weil sie nie die Älteste am See gewesen war. Dieses Zimmer war für Paare gedacht. Ihre Großeltern. Dann ihre Eltern. Dann Phil und Barbara. Nun ja, jetzt gehört es einen ganzen Sommer lang mir, dachte sie etwas trotzig.
Mit den beiden Koffern jonglierend, öffnete sie die Tür.
Noch etwas, was die Putzleute vergessen hatten – die Gardinen zu öffnen. Der Raum lag im Halbdunkeln und strahlte eine ungewohnte Düsterkeit aus.
Mit einem erschöpften Stirnrunzeln stellte Kate die Koffer hin. Ihre Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie einen sich bewegenden Schatten.
Der Schatten nahm eine menschliche Form an und kam auf sie zu.
Ein einziger Gedanke schoss Kate durch den Kopf: Aaron.
Und damit stürzte sie zur Tür hinaus und die Treppen hinunter.
4. KAPITEL
J D spürte die Augen der Frau auf sich gerichtet.
Sein Puls ging schneller, als sie ihren Blick einen Augenblick zu lang auf ihm ruhen ließ. „Sind das alle Angaben, die sie von mir brauchen?“, fragte er und schob das Formular über den Tresen.
„Ja, danke.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, das er nicht recht deuten konnte. In der letzten Zeit kam ihm jeder Blick, jedes Lächeln verdächtig vor. „Danke, Mr ...“, sie warf einen Blick auf das Formular. „Harris.“
Sie war noch jung. Hübsch, auf eine frische Collegemädchenart. Sehr wahrscheinlich jobbte sie den Sommer über in der Wildtierstation. „Darla T – ehrenamtliche Helferin“, stand auf dem Schild an ihrer Brust.
Er hoffte, dass sie keine Informationen über ihn weitergab. Sogar hier, im entferntesten Winkel des Landes, war er paranoid. Sam hatte ihm
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