Vertrau mir! - Thriller
kahlgeschoren, seine Sonnenbrille hatte er auf den Kopf hochgeschoben.
Das Dröhnen des Zuges wurde lauter. Die Menge schob sich zentimeterweise voran.
»Willst du jemandem in den Arsch kriechen?«, glaubte Luke den Freund des Mädchens sagen zu hören. Luke ignorierte die Bemerkung und blieb hocken.
Der Doppeldecker-Zug kam zum Stehen, und die Türen glitten auf.
Die Menschenmassen strömten vorwärts. Luke nahm eine Handvoll von Drummonds Dollar aus der Tasche, hielt sie dem Freund des Mädchens hin und sagte in schlechtem Französisch: »Ich möchte die kaufen«, und auf Englisch fügte er hinzu: »Your sunglasses.« Er stellte die Sonnenbrille pantomimisch dar.
»Was soll das?«, erwiderte der junge Mann. »Nein. Ich brauch deine Dollar nicht.«
Doch seine Freundin lachte, zog ihm die Brille vom Kopf und setzte sie Luke auf. Sie pflückte ihm das Geld aus der Hand. »Da hast du sie. Ich hab sie ganz billig für ihn gekauft. Jetzt kann ich zehn andere in lauter schrägen Farben kaufen.« Ihr Englisch war gut. Sie musterte Luke nachdenklich, wie um zu ergründen, welches Motiv er für sein seltsames Angebot hatte.
Durch die dunkle Sonnenbrille beobachtete Luke, wie Mouser sich einen Sitzplatz auf der unteren Ebene suchte. Luke wusste, wenn er ebenfalls unten blieb, würde Mouser ihn sehen, also ging er direkt hinter dem Mädchen und dem Jungen die Stufen hinauf. Sein Herz schlug bis zum Hals. Sollte Mouser den Zug verlassen, riskierte er ihn zu verlieren; von hier oben war es nicht so leicht zu überblicken, wer unten ein- und ausstieg. Seine einzige Chance war, in der Nähe der Treppe zu bleiben. Wenn Mouser zur Treppe kam und nach oben blickte, würde er ihn sehen. Dann war Luke so gut wie tot.
Falls ich ihn verliere - wie soll ich dann Aubrey und meinen Dad finden?
Meinen Dad. Die Worte waren wie eine gedämpfte Explosion in seiner Brust. Die vergangenen zehn Jahre seines Lebens hatten auf einer riesengroßen Lüge beruht. Sein Vater lebte.
Jetzt wo er Zeit hatte, nachzudenken, kamen Zorn und Bitterkeit in ihm hoch. Warum? Warum täuschte sein Vater seinen Tod vor und verließ seine Frau und sein Kind - warum überließ er sie einem Mann wie Henry Shawcross? Warum mutete er ihnen diesen tiefen Schmerz der Trauer zu? Warum versteckte er sich hinter dem Tod seiner Kollegen?
Luke hatte eben erst feststellen müssen, dass er den wahren Henry nicht kannte - aber seinen Vater kannte er offensichtlich genauso wenig. Er schüttelte den Kopf, wie um diese Gedanken zu verscheuchen. Nein. Er durfte sich nicht von seinen momentanen Emotionen beherrschen lassen. Das alles konnte er später versuchen zu verarbeiten.
Der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, die Leute drängten sich auf der Treppe.
»Gefällt dir meine Sonnenbrille noch, du verrückter
Kerl?«, fragte der Freund des Mädchens in annehmbarem Englisch. Offenbar hatte er nun selbst Spaß an der Laune seiner Freundin. »Brauchst du vielleicht auch ein Hemd? Oder eine schicke Hose?«
Das Mädchen kicherte.
»Nein. Aber ich brauche Hilfe«, sagte Luke. »Habt ihr die Schüsse gehört?«
Der Junge verdrehte die Augen. »Wir wollten eigentlich aus der Station raus, da kommen von allen Seiten Leute gelaufen, also drehen wir um und gehen wieder runter.« Er zuckte die Achseln. »Naja, wir müssen den Eiffelturm ja nicht heute sehen - er steht morgen auch noch da.«
»Warum brauchst du Hilfe?«, fragte das Mädchen. Luke erkannte, dass sie die treibende Kraft in der Beziehung war.
»Meine Freundin, sie studiert hier. Sie trifft sich mit einem Typen. Und der Typ bin nicht ich.« Der Zug schüttelte sie ein wenig durch, als er Fahrt aufnahm.
»Ah«, sagte das Mädchen. Der Junge runzelte die Stirn.
»Der Typ wollte sich heute mit ihr beim Turm treffen. Sie ist nicht gekommen, und jetzt folge ich ihm.«
»Aha, die Schüsse, das warst du. Du hast auf ihn geschossen«, scherzte der Junge. »Ja, Rache ist süß.«
»Äh, nein.«
»Und dieser Typ kennt dein Gesicht«, vermutete das Mädchen.
»Sie hatte ein Bild von uns auf dem Nachttisch. Ich bin sicher, dass er’s gesehen hat.« Das Lügen fiel ihm nicht schwer, weil er das Gefühl, betrogen worden zu sein, ganz real in seiner Brust spürte. Sein Vater war der größte Lügner von allen. »Aber der Typ ist gefährlich. Ein bisschen verrückt. Ich muss rausfinden, wo er wohnt. Er sitzt unten, und er soll mich nicht sehen.«
Das Mädchen hob amüsiert eine Augenbraue. »Und jetzt willst du dich
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