Vertrau mir! - Thriller
die Zerstörung in der Rue de l’Abbé-Grégoire. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Auf Zehenspitzen
verfolgte er als Augenzeuge das Blutbad, das er zusammen mit anderen angerichtet hatte.
Henry wandte sich von der Menge ab und wechselte hinüber zu den Krankenwagen, in die weitere Verletzte gelegt wurden.
Er sucht mich. Er will wissen, ob ich überlebt habe, dachte Luke. Er ging zu ihm und packte ihn an der Schulter. »Bist du gekommen, um mir Blumen aufs Grab zu legen?«
Henry rührte sich nicht; er hielt nur überrascht den Atem an.
»Ich bin bewaffnet. Bist du allein hier?«
Henry nickte.
»Wenn du mich anlügst, stirbst du. Ich werde dich töten, das schwör ich dir. Geh zu deinem Wagen.«
»Luke.«
»Jetzt drehen wir den Spieß um, du Arschloch. Jetzt entführe ich dich.«
Henry gehorchte. Luke packte ihn am Arm, und Henry zitterte unter seinem Griff.
»Gott sei Dank, du lebst …«, begann Henry.
»Erspar mir deine beschissenen Lügen. Du hast mich verraten und verkauft. Du hättest mich sterben lassen.«
»Das stimmt nicht. Alles, was ich wollte …«
Luke griff nach Henrys Hand und verdrehte ihm mit voller Kraft den kleinen Finger. Henry hielt den Atem an. »Ich bin heute nicht in der Stimmung für einen deiner Vorträge über mich und mein Leben. Davon hab ich endgültig genug.« Sie gingen mitten auf der abgesperrten Straße, weg von den anderen Fußgängern, die Lukes wütendes Flüstern hätten hören können.
»Hat das die Night Road getan? Ja oder nein?«
Henry nickte, einen elenden Ausdruck auf dem Gesicht.
»Mouser hat es angeordnet. Er folgt nicht mehr meinen Befehlen. Ich habe versucht, ihn aufzuhalten.«
»Oh ja, wie ich sehe, hast du sogar die Polizei gerufen.«
»Luke, bitte. Ich bin hergekommen, um den Attentäter zu erschießen, bevor er die Bombe zünden konnte. Ich war zu spät. Ich habe ein großes Risiko auf mich genommen …«
»Ein richtiger Held - erspar mir dein Geschwätz. Haben sie Aubrey und meinen Vater?«
Henry nickte erneut.
»Lebend?«
»Ja.«
»Also. Das alles, um mich umzubringen?«
»Und um Quicksilver auszulöschen.«
»Ihr habt unschuldige Menschen ermordet.«
»Das ist ein Krieg.«
»Ihr spielt vielleicht Krieg - aber das ist kein Krieg.«
»Sieh dich doch um. Sieh dir an, was du durchgemacht hast, Luke. Krieg. Eine andere Art von Krieg. Einer, der im Verborgenen geführt wird. Trotzdem ein Krieg.«
»Und du bist auf der Seite der Bösen«, sagte Luke.
»Die Guten wollten mich nicht mehr«, antwortete Henry und wandte den Blick von Luke ab.
»Was ist?«
»Das ist mein Wagen.« Henry blieb bei einem BMW stehen.
»Steig ein, du fährst.«
Henry gehorchte. Als er hinter dem Lenkrad saß, setzte ihm Luke das Messer an die Rippen. »Ich bin vier Stunden so gefahren, ständig mit einer Waffe bedroht. Ich hoffe, dir macht es mehr Spaß als mir.«
»Luke, lass mich erklären.«
»Du wirst mich jetzt dorthin bringen, wo mein Vater und Aubrey sind. Hast du verstanden?«
»Ja.«
»Ob ich dich töte oder nicht, hängt davon ab, wie du dich verhältst. Hast du verstanden?«
»Ja, Luke.«
»Fahr los.«
Henry ordnete sich in den Verkehr ein, fuhr zur Pont Neuf und überquerte die Seine. Luke konnte den Blick nicht von Henry wenden. Es kam ihm vor, als sähe er jemanden vor sich, hinter dessen menschlichem Äußeren ein Teufel steckte. Kränkung, Zorn und Verachtung wüteten in ihm. Es gab keine Erklärung, die irgendetwas ändern hätte können. Trotzdem wollte er es in Henrys eigenen Worten hören.
»Warum?«, fragte Luke.
»Es gibt so viele Gründe.« Ein Hauch von der gewohnten Selbstsicherheit kehrte in Henrys Stimme zurück. »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Ich will wissen, warum du ein Verräter bist.«
Eine ganze Weile herrschte Schweigen. Luke stach zu. Nicht tief - doch er stieß das Messer in das Baumwollhemd und die weiche Fettschicht darunter.
»Ahhh.« Henry schrie nicht, doch er war nahe dran. Ein erstickter Schrei. »Willst du, dass ich einen Unfall baue?« Henry schlug vor Schmerz mit der Handfläche gegen das Lenkrad. »Die Polizei könnte uns fragen, warum ich blute und warum du ein Messer in der Hand hast.«
»Hatte ich mich undeutlich ausgedrückt? Antworte. Warum? Du bist es mir schuldig, Henry. Du hast mir jahrelang etwas vorgespielt, du hast so getan, als würde dir etwas an uns liegen, an mir und meiner Mom.«
»Das hat gestimmt.«
»Warum. Warum. Warum.«
Und dann kam die Antwort - und
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