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Vertraue nicht dem Feind

Vertraue nicht dem Feind

Titel: Vertraue nicht dem Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Foster
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sie?«
    »Ja, sechs Jahre.«
    »Dann standet ihr beide euch also nicht sehr nahe?«
    Sie zögerte spürbar. »Anfangs verstanden wir uns trotz des Altersunterschieds sehr gut.« Sie wandte sich ab und starrte durchs Seitenfenster in die durchnässte Landschaft hinaus. »Heutzutage sehen wir uns nur noch selten.«
    Er hätte gern erfahren, weshalb das so war, fragte aber nicht. »Was ist mit deinen Eltern?«
    Sie blieb stumm.
    »Du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst.«
    Schweigen. Reese hörte das Rauschen der Reifen auf dem nassen Asphalt und das behäbige, rhythmische Schaben der Scheibenwischer.
    Das Schlagen seines Herzens hallte in seinen Ohren wider.
    Alice drehte sich zu ihm um, zog die Beine an, legte die Wange an die Rückenlehne und schlang die Arme um ihren Körper.
    Sie atmete aus.
    Reese spürte, dass sie die richtigen Worte suchte.
    »Meine Familie ist großartig. Klug und herzlich. Alle stehen zueinander und sind immer für einen da.«
    Genau wie Alice.
    »Mom arbeitet als Lehrerin, und Dad ist Architekt. Amy geht noch aufs College. Sie möchte Krankenschwester werden.«
    Das klang doch nett, dachte Reese. Nach einer typischen Familie aus der Mittelschicht. »Warum trefft ihr euch nicht öfter?«
    »Weil ich sie liebe«, sagte sie mit belegter Stimme. Reese brach es fast das Herz. »Sehr sogar.«
    Obwohl es für ihn unvorstellbar war, dass irgendjemand Alice nicht liebenswert finden könnte, stellte er trotzdem die Frage, die sich ihm aufdrängte. »Und sie empfinden anders für dich?«
    »Nach meiner Entführung hat sich vieles verändert.« Sie schüttelte den Kopf und verbesserte sich. »Vielmehr habe ich mich verändert. Als ich freikam, waren sie überglücklich, aber es war so viel Zeit vergangen …« Ihre Stimme brach. »Ich war ein anderer Mensch.«
    Für einen Gefangenen konnte sich ein Tag wie eine ganze Woche anfühlen und eine Woche wie ein Monat. Reese hoffte inständig, dass Alice nicht so lange hatte ausharren müssen. »Du warst aber doch trotzdem noch ihre Tochter und ihre Schwester. Bestimmt haben sie …«
    »Mich trotzdem geliebt? Natürlich.« Ihre Miene war wie versteinert. Sie wandte sich ab. »Aber er hat mich über ein Jahr festgehalten.«
    Eisiger Schrecken erfasste Reese. Sein Magen drehte sich um, und sein Kiefer verkrampfte sich. »Du liebe Güte«, wisperte er fassungslos und wünschte sich nichts sehnlicher, als die Leiden, die sie erduldet hatte, ungeschehen machen zu können.
    »Ich hatte die Hoffnung, jemals fliehen zu können, fast aufgegeben.« Sie schlang die Arme fester um den Körper und presste das Kinn auf die Knie. »Ich hatte mich damit abgefunden, dass mein Leben für immer so aussehen würde«, gestand sie mit brechender Stimme.
    Reese spürte, wie sehr sie die Erinnerung auch heute noch schmerzte, und litt mit ihr. Sie hatte überlebt und war angeblich nicht vergewaltigt worden. Warum um alles in der Welt hatte der Entführer sie festgehalten?
    Das Schweigen lastete schwer und erdrückend auf ihnen. Reese versuchte, ganz Polizist zu sein und sich nicht von seinen Gefühlen leiten zu lassen, sondern logisch zu denken. »Du sagtest ›er‹. Du wurdest also von einem Mann verschleppt?«
    »Ein Mann ließ mich entführen.«
    »Kanntest du ihn?«
    Sie schüttelte den Kopf und schien auf dem Sitz noch weiter zu schrumpfen. »Nein.«
    Sein Herz schlug wie wild. Am liebsten hätte er angehalten und sie getröstet, ihr absurde Versprechungen gemacht, die er wahrscheinlich niemals würde einhalten können.
    Doch er wagte es nicht, sie in ihrer Beichte zu unterbrechen.
    Er musste alles wissen.
    Reese bemühte sich um einen betont ruhigen und sachlichen Tonfall, als er ihr die nächste Frage stellte. »Weißt du, warum er dich gekidnappt hat?«
    »Ja.«
    Dabei blieb es. Der Mann in ihm wollte nicht weiter in sie dringen, wollte, dass die finsteren Schatten aus ihrem Gesicht verschwanden. Doch er war Polizist, und so gewann die Logik die Oberhand und zwang ihn, weiter zu fragen. »Wozu hat er dich gezwungen, Alice?«
    »Zu der einen Sache, in der ich wirklich gut bin.« Sie schluckte mühsam. »Ich musste seine Sekretärin sein.«
    Das war vollkommen absurd. Reese blickte kurz zu ihr hinüber. Sie hatte sich zu einer kleinen Kugel zusammengekauert – und war so weit wie möglich von ihm abgerückt.
    »Könntest du mir das genauer erklären?«
    Die Sonne blitzte hinter einer Wolke hervor. Ihr Licht spiegelte sich auf den nassen Oberflächen, und Dampf stieg

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