Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
auszuprobieren.
Jetzt fragte sie sich, ob sie es nicht versuchen sollte.
Würde sie dasselbe wie Kellan sehen?
Mira tauchte ein paar weitere blutgetränkte Handtücher ins Wasser und sah zu, wie die klare Flüssigkeit sich zu einem trüben Rot färbte.
Ob sie die Kraft ihrer Gabe endgültig erschöpfen konnte, wenn sie nur lange genug mit ungeschützten Augen ihr Spiegelbild anstarrte? Sie war versucht es herauszufinden, auch wenn ihr Sehvermögen sich jedes Mal etwas verschlechterte, wenn sie ihre Sehergabe ausübte. Das war ihr egal. Besser blind zu werden, als zu riskieren, anderen mit ihrer schrecklichen Gabe noch mehr Schmerz zuzufügen.
Sie fand ihr Gesicht im dunklen Wasser des Waschbeckens. Helle lavendelfarbene Augen starrten zurück, erschöpft, aber undurchdringlich. Der Schmerz, den sie fühlte, stand ihr ins Gesicht geschrieben, in den Sorgenfalten um ihre Mundwinkel und den dunklen Ringen unter ihren Augen.
Sie hörte ein ersticktes Stöhnen und erkannte nicht, dass es aus ihrer eigenen Kehle kam, bis die verhärmte junge Frau in dem blutroten Spiegelbild ihren Mund öffnete und aufschluchzte.
Das rot gefärbte Wasser kräuselte sich von ihrem Atem, und ihr Spiegelbild zerbrach in hundert Teile.
Sie brauchte einige Minuten, um sich zu sammeln. Zeit, die Mira nutzte, um die Wäsche fertig zu machen. Sie hängte die sauberen Handtücher auf ein Gestell, wo schon andere Sachen zum Trocknen hingen. Dann schrubbte sie sich gründlich die Hände, aber die Flecken unter ihren Fingernägeln und tief in ihren Nagelhäuten wollten nicht abgehen. Dafür würde sie die Hände lange einweichen und viel Seife verwenden müssen.
Später, sagte sie sich, trocknete sich ab und trat dann hinaus auf den Hauptkorridor des Bunkers. Sobald sie dort war, erkannte sie, dass sie gar nicht wusste, wohin sie eigentlich gehen sollte.
Sie brachte es nicht über sich, zu Kellans Quartier zu gehen und dort tatenlos auf ihn zu warten. Und sie wusste, es stand ihr nicht zu, in seine Besprechungen oder Aktivitäten mit seinem dezimierten Team hineinzuplatzen. Mira ging los und fand sich bald vor Candices Zimmer wieder.
Sie sah nur kurz hinein, aber lange genug um zu bemerken, dass die junge Frau wach war. Sie lag auf dem Rücken in ihrem Bett, ihr verletztes Bein war abgewinkelt und hochgelegt auf einen Stapel aus Kissen und gefalteten Decken, die meisten waren inzwischen verrutscht und drohten seitlich herauszufallen. Gerade versuchte sie erfolglos, nach ihnen zu greifen.
Mira stieß einen Seufzer aus und ging zögernd einen Schritt hinein. »Komm, ich mach dir das.«
»Danke.« Candice ließ sich wieder zurücksinken und sah zu, wie Mira den Stapel richtete und vorsichtig wieder unter ihr Bein schob.
Mira sah auf. »Wie ist das?«
»Besser.« Sie war immer noch so weiß wie das Bettzeug, das sie umhüllte, hatte kaum Farbe in den Lippen, die sich jetzt zu einem kleinen Lächeln kräuselten. »Könntest du mir bitte mein Wasser geben?«
»Klar.« Mira nahm die Tasse mit dem Trinkhalm von dem klapprigen Nachttisch neben dem Bett und hielt sie, während Candice schwach daran saugte. »Wie fühlst du dich?«
»Gut.« Sie bedeutete Mira mit einem Nicken, die Tasse wieder wegzunehmen. »Doc sagt, ich werde es schaffen. Ich darf eine Woche nicht laufen und muss mich eine Weile generell schonen.«
»Aber du lebst«, bemerkte Mira und war ehrlich froh darüber.
»Ja. Doc ist der Beste. Er ist ein guter Mann.« Candice sah jetzt an Mira vorbei, ihre schwarzen Augenbrauen runzelten sich leicht. »Wo sind die anderen alle?«
»Irgendwo in der Nähe«, sagte Mira. »Sie hatten was zu tun. Für Chaz …«
Sie sagte es sanft, wollte Candice nicht aufregen. Aber die grünbraunen Augen der Frau verdunkelten sich, und Tränen stiegen in ihnen auf. »Haben sie ihn schon begraben?«
»Noch nicht. Sie wollen es später am Abend machen, hieß es. Sie wollen, dass sein Leben angemessen gewürdigt wird.«
»Bowman«, sagte Candice und lächelte wieder, breiter als zuvor. »Das klingt wie etwas, das er sagen würde.«
Mira starrte sie an, weder bestätigte noch leugnete sie es. Aber es war wirklich er gewesen, der das gesagt hatte. Er war es gewesen, der Chaz’ leblosen Körper aus der Zelle und in einen Raum irgendwo tief im Bunker getragen hatte. Er war es gewesen, der die anderen darüber informiert hatte, dass er ein Begräbnis veranstalten wollte, das dieses Kriegers würdig war, der ehrenhaft gedient hatte und viel zu früh
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