Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
gefallen war.
Candices Augen blickten Mira intensiv und voller Verständnis an. »Bowman ist auch ein guter Mann. Ich habe das Gefühl, du weißt das besser als jeder von uns hier.«
Mira wollte schon den Kopf schütteln, schaffte es aber nicht, es zu leugnen. Stattdessen murmelte sie nur: »Das ist lange her.«
Candices Miene wurde noch weicher. »Ich muss nicht wissen, wie er damals hieß, aber ich weiß, dass Bowman nicht sein echter Name ist. Das wusste ich schon von der Minute an, als er mir diese Lüge aufgetischt hat, damals, als er endlich aufgewacht ist, nachdem ich drei Monate bei ihm gewacht habe, ohne zu wissen, ob er je wieder die Augen öffnen oder gar sprechen würde. Sein wahrer Name war mir schon damals egal oder was er getan hatte, um mitten in einem Kriegsschauplatz zu landen.«
Mira fehlten die Worte. Sie konnte Candice nur ansehen und ihr zuhören, die private Hölle jener Nacht aufs Neue erleben, in der sie Kellan verloren und er sein neues Leben begonnen hatte.
»Ich dachte mir, eines Tages wird er mir schon verraten, wie er wirklich heißt, aber das hat er nie. Und irgendwann habe ich aufgehört, mir darüber Gedanken zu machen.« Candice streckte ihre Hand unter der Bettdecke hervor und legte sie auf Miras. »Es hat nicht lange gedauert, bis ich über den Stammesvampir Bowman, der sich dafür entschieden hatte, unter Menschen statt seiner eigenen Spezies zu leben, alles wusste, was ich wissen musste. Ich habe gesehen, dass er ein Ehrenmann war. Sobald er sich wieder erholt hatte, erfuhr er, dass eine Rebellentruppe eine Gruppe junger Frauen in die Prostitution verkaufen wollte. Der Deal mit ein paar üblen Typen aus dem Ausland war schon fast unter Dach und Fach, doch in der Nacht, als sie den Handel perfekt machen wollten, platzte Bowman dazwischen und brachte die Übergabe zum Scheitern. Ganz allein hat er diese Mädchen befreit.«
Mira war nicht überrascht, das zu hören. Sie hatte Kellan mit eigenen Augen kämpfen sehen, als sie zusammen im Orden gewesen waren. Er war ein tapferer Krieger, der vor nichts und niemandem Angst hatte, wenn es darum ging die zu verteidigen, die sich nicht selbst schützen konnten. Anscheinend hatte er diese Eigenschaften in seinem neuen Leben nicht abgelegt, auch wenn er moralisch auf einem viel wackligeren Boden stand.
Candice sprach weiter. »Er war mutig und gerecht. Aber auch irgendwie verwundet. Er war allein und hat sich bewusst von den anderen isoliert. Ich wusste, dass er einer anderen gehört. Ich wusste nur nicht, wem, bis ich sah, wie er dich angeschaut hat, als wir dich neulich mit ins Camp gebracht haben.«
»Du hast ihm das Leben gerettet«, schaffte Mira endlich mit trockener Kehle zu krächzen, überflutet von Dankbarkeit für diese Frau, die sie kaum kannte. »Ich dachte, er sei tot, aber du hast ihn gefunden. Du hast dich um ihn gekümmert. Du und Doc kanntet ihn gar nicht, aber ihr habt ihn nicht sterben lassen …«
Candice runzelte ein wenig die Stirn und zuckte leicht mit den Schultern. »Er brauchte Hilfe. Wir haben sie ihm gegeben. Das ist alles.«
»Ihr habt das alles getan, obwohl er ein Stammesvampir war.«
»Und? Wenn du einen blutenden Schwerverletzten auf der Straße findest, schaust du zuerst nach, ob er anders ist als du, bevor du ihm hilfst?«
Mira schwieg, als sie Candices Worte in sich aufnahm. Und dann spürte sie eine tiefe Scham, weil sie erkannte, dass sie vor noch gar nicht langer Zeit genau das getan hätte. Ihr Hass und ihr Misstrauen gegenüber Menschen, besonders Rebellen, waren so blind und saßen so tief – wahrscheinlich wäre sie gar nicht erst stehen geblieben, wenn einer von ihnen ihre Hilfe benötigt hätte.
Es war widerwärtig, was aus ihr geworden war.
So lange hatte sie Leute wie Candice, Doc und Nina verachtet, sie mit Gesindel wie Vince und Rooster in einen Topf geworfen – alles Schurken, die sie mit ihren Stiefelsohlen zerquetschen oder mit ihren Dolchen durchbohren wollte.
Und jetzt …?
Sie zog ihre Hand unter der von Candice hervor, fühlte sich der Freundlichkeit unwürdig, die sie ihr bezeugte. Sie spürte Trauer über den Verlust, den diese Menschen heute erlitten hatten. Und sie hatte Angst, was die Zukunft ihnen bringen würde, wenn sich das, was Kellan in ihren Augen gesehen hatte, einmal bewahrheitete.
Die Kälte, die diese Vorstellung mit sich brachte, legte sich in Miras Brust wie Eis. Sie musste das Grauen irgendwie ausblenden, das sie erfasste beim Gedanken daran,
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