Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
welchen Preis sie alle zahlen würden, wenn ihre Vision sich erfüllte.
Mira hoffte, dass ihr Lächeln, das ihr nur mit Mühe gelang, beruhigend wirkte. »Du solltest dich jetzt ausruhen. Ich sage Doc Bescheid, wie’s dir geht.«
Als Candice nickte, entfernte sich Mira vom Bett und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen. Ein Gefühl der Dankbarkeit breitete sich in ihr aus und überlagerte sogar die düsteren Gefühle, die sie gerade in ihren Klauen hatten.
Sie sah zu der Menschenfrau zurück, die vor acht Jahren das Unmögliche getan, Kellan von den Toten zurückgeholt und das Wunder vollbracht hatte, auf das Mira so verzweifelt gehofft hatte. »Danke, dass du ihn gerettet hast.«
Candice lächelte. »Mein Part war leicht. Jetzt bist du dran.«
14
Seine Kleider klebten ihm von der Feuchtigkeit des Bunkers am Körper, seine Hände und Unterarme waren mit angetrockneten Blutspritzern bedeckt. Selbst der schwache, schale Kupfergeruch der toten roten Zellen ließ Kellans Schädel dröhnen, und seine Muskeln zuckten vor Aggression, als er durch den Hauptkorridor der Festung stapfte.
Er wollte töten. Nicht nur weil der Geruch von so viel frischem Blut heute das Raubtier in ihm geweckt hatte, sondern weil Menschen, die ihm wichtig waren – seine guten Leute – unverdient zu Schaden gekommen waren.
Seinetwegen.
Weil sie ihm als ihrem Anführer vertraut hatten und er versagt hatte.
Er hatte Vince diesen Morgen nicht verfolgt, wie er es hätte tun sollen. Er kochte immer noch vor Wut, hatte den Drang, ganz Boston abzureißen, um den Bastard zu finden, aber sein Team hatte ihn hier mehr gebraucht. Und der rationale Teil seines Verstandes erinnerte ihn daran, dass Mira recht hatte – am helllichten Tag die Verfolgung aufzunehmen wäre ein Selbstmordkommando.
Ihrer Vision zufolge würde er sowieso bald tot sein. Und er konnte nicht umhin zu denken, dass die Tatsache, heute nicht in die Sonne hinausgerannt zu sein, nur bekräftigte, dass er immer noch auf einem direkten Kollisionskurs mit dem Schicksal war, das er in Miras Augen gesehen hatte.
Kellans Stiefel dröhnten hohl im Korridor, als er auf sein Quartier zustapfte, um sich umzuziehen und zu duschen. Ihm fiel auf, wie ungewöhnlich still es hier im Bunker war. Er mochte die Stille nicht. Mochte den Gedanken nicht, dass er diese Probleme über seinen Stützpunkt gebracht hatte.
Obwohl sie am äußersten Rand des Gesetzes lebten, hatten Kellan und seine kleine Rebellentruppe nie Gewalt innerhalb ihres Schlupfwinkels erlebt. Sie hatten noch nie ein Mitglied ihres Teams verloren, nicht einmal im Kampf. Sie waren glücklich gewesen, verhielten sich möglichst unverdächtig, führten zahlreiche Aktionen durch und bewegten sich abseits der normalen Gesellschaft. Sie versuchten, jene unerwünschte Aufmerksamkeit und Bekanntheit, durch die andere Rebellengruppen förmlich aufblühten, zu vermeiden. Nun, nach diesem Schlag heute, saßen Schock und Kummer tief.
Kellan kannte das Gefühl nur zu gut.
All dieses Blutvergießen ließ seine Vergangenheit wiederaufleben, als er ein behüteter Jugendlicher aus den Dunklen Häfen gewesen war, dem seine Familie entrissen wurde. In einer einzigen Nacht hatte der Terrorakt eines Wahnsinnigen das Familienanwesen der Archers in Boston zerstört und Kellan jeden genommen, den er liebte, bis auf seinen Großvater Lazaro. Zum Glück für sie beide war der Orden ihnen zu Hilfe gekommen, hatte ihnen Zuflucht und Schutz gewährt. Sie hatten Kellan und Lazaro bei sich aufgenommen, eine Freundlichkeit, die Kellan ihnen wahrscheinlich nie in seinem Leben würde vergelten können.
Schon gar nicht mehr jetzt.
Und Mira …
Sie war für ihn da gewesen, vom ersten Augenblick an, als er auf der Türschwelle des Ordens angekommen war. Ein kleiner Knirps von Nervensäge, die ihm nichts von seinem Getue durchgehen ließ, schon damals nicht. Nachdem er so viele geliebte Menschen verloren hatte, hatte er solche Angst vor Nähe, dass er sich damals geweigert hatte, andere an sich heranzulassen.
Und während er ein dummer Junge gewesen war, kaum fähig, diese Angst als die Wurzel seiner Verdrossenheit und seines Schmerzes zu erkennen, war Mira so viel weiser gewesen, sogar schon als Kind. Sie hatte ihn gleich durchschaut. Sie hatte ihn zu ihrem Freund erklärt, sich um ihn gekümmert und nicht locker gelassen, nicht einmal dann, wenn er sie auflaufen ließ.
Nein, immer wenn er sie wegstieß, hatte sie hartnäckig zu ihm gehalten – genau wie sie
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