Vertraute Gefahr
Irgendwann habe ich es dann nicht mehr ausgehalten: Ich bereitete meinen Auszug vor, als Robert unerwartet nach Hause kam. Als er mich packen sah, bekam er einen Wutanfall.«
Autumn schlang schützend ihre Arme um sich und wiegte sich vor und zurück, während sie in Gedanken in jene Zeit zurückgeschleudert wurde.
Sie sieht die erste Attacke nicht kommen. In einem Moment steht sie noch über ihren Koffer gebeugt, im nächsten fliegt sie wie eine Stoffpuppe durch die Luft. Sie schlägt mit dem Kopf gegen die Wand. Benommen bleibt sie liegen, während das Blut aus der Kopfwunde in den Teppich sickert. Langsam versucht sie sich aufzurichten, sinkt jedoch mit einem Schmerzenslaut zurück. Ihr linker Arm kann ihr Körpergewicht nicht mehr stützen. Er ist mindestens verstaucht, wenn nicht sogar gebrochen. Mühsam bringt sie sich in eine sitzende Haltung. In ihrem Kopf dreht sich alles, gequält schließt sie die Augen. So sieht sie auch den zweiten Angriff nicht kommen …
Shanes Stimme holte sie aus ihren Gedanken zurück. »Autumn? Komm schon, Schatz, sieh mich an.«
Er kniete vor ihrem Sessel, ihre eisigen Hände in seinen warmen. Schon seit einiger Zeit versuchte er, sie aus ihrer Trance zu holen, doch Autumn hatte einfach mit totenbleichem Gesicht durch ihn hindurchgesehen. Als er sie nicht erreichen konnte, hatte er Angst bekommen. Endlich verloren Autumns Augen den starren Blick und sammelten sich auf seinem Gesicht.
»Shane.« Ihre zitternden Finger strichen über seine Wange.
Er führte sie an seinen Mund und küsste sie sanft. »Alles wieder in Ordnung?«
Autumn nickte. »Wo war ich stehen geblieben?«
Shane stand auf und kehrte zu seinem Stuhl zurück. »Robert fand dich beim Packen und wurde wütend … « Schon die Vorstellung, dass sie diesem Psychopathen allein gegenübergestanden hatte, war mehr, als er ertragen konnte.
»Er schlug mich. Durch eine blutende Kopfwunde und einen verletzten Arm konnte ich mich nicht richtig zur Wehr setzen. Ich habe es natürlich versucht, aber ich war nicht stark genug.« Ihre Stimme brach. Sie schluckte einige Male heftig und fuhr dann leise fort. »Irgendwann verlor ich das Bewusstsein. Ich weiß nicht, wie lange ich ohnmächtig war, aber als ich erwachte, war es dunkel. Zuerst war ich orientierungslos, bis ich bemerkte, dass ich nicht mehr im Schlafzimmer war, sondern im Keller. Ich versuchte zu fliehen, doch mein Arm war mit Handschellen an ein Wasserrohr gefesselt. Meine Kleidung war zerfetzt und ich fror.«
»Hat er …?«
Autumn lächelte schwach. »Nein, ich denke nicht, dass er mich vergewaltigt hat, jedenfalls habe ich keine Beweise dafür gefunden. Ich war ziemlich wütend, auch ängstlich und verwirrt, aber ich bildete mir ein, dass Robert bald zur Vernunft kommen würde, und wenn nicht, würde ich bei der Arbeit vermisst werden. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass er mich einfach krankmelden könnte. Also wartete ich den ganzen nächsten Tag darauf, dass irgendjemand mich aus meiner Lage befreien würde. Doch niemand kam. Ich hatte kein Essen, es gab keine sanitären Anlagen und nur das bisschen Wasser, was am kaputten Wasserrohr entlanglief. Ich saß nur da, fror, hatte Schmerzen und konnte überhaupt nichts dagegen tun. Als es immer später wurde, bekam ich Panik.« Autumn wandte den Kopf ab, doch Shane sah die Furcht in ihrem Blick.
Shane sagte gar nichts, er gab ihr einfach die Zeit und den Raum, den sie brauchte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, damit er sie nicht nach ihr ausstreckte. Oder vielleicht, damit er nicht nach draußen stürmte und diesem Robert das gab, was er verdient hatte. Am liebsten hätte er Autumn gesagt, sie sollte aufhören zu erzählen, doch er musste es hören, und vielleicht half es ihr auch, darüber zu reden. Oder auch nicht. Er konnte Autumn ansehen, wie viel Kraft und Überwindung sie dieses Gespräch kostete.
»Irgendwann hörte ich Robert die Kellertreppe herunterkommen. Ich dachte wirklich, er würde mich nun befreien und aus dem Haus werfen. Aber ich hatte nicht mit seinem Hass gerechnet – und auch nicht mit seinem Wahnsinn. Denn irgendetwas hatte ihm endgültig den Rest gegeben. Er grinste, als er mir erzählte, dass niemand nach mir suchen würde, weil er mich krankgemeldet hätte und sich sowieso außer ihm niemand für mich interessieren würde. Und er hatte recht: Ich hatte keine Freunde oder Bekannte mehr, die sich gewundert hätten, wenn ich mich nicht meldete. Und so konnte er mich fünf Tage
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