Verwüstung: Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges (German Edition)
war er ein ungewöhnlicher schwedischer Bischof. Die schwedische Geistlichkeit war, wie zuvor schon angedeutet, eine stramm orthodoxe Gesellschaft, die Ketzerei ebenso verabscheute, wie sie den Papismus hasste, und eine ideologisch reine Lehre von solcher Geradlinigkeit und Phantasielosigkeit vertrat, dass sie ständig in schieren Fanatismus umzuschlagen drohte. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre dem freidenkerischen Matthiæ die Aufgabe als Lehrer des jungen gekrönten Fräuleins des Reiches nie anvertraut worden, doch war ihm dieses Amt bereits 1632 von Gustav Adolf selbst übertragen worden, weshalb daran nichts zu ändern war. Und während sie aus der Distanz zähneknirschend zusah, konnte «Papa» dem kleinen Mädchen etwas über Toleranz und Respekt vor anderen Glaubensrichtungen einflüstern. Sie erwies sich auch als gelehrige Schülerin. Nach und nach lernte sie neun Sprachen sprechen oder auf jeden Fall verstehen: Schwedisch, Dänisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Holländisch, Spanisch, Latein und Griechisch; außerdem hatte sie Kenntnisse in Finnisch und Hebräisch.
Seit ihrer frühen Kindheit identifizierte sich Christina mit ihrem früh verstorbenen Vater, während sie gleichzeitig eine ständig wachsende Abneigung gegen ihre schöne, feminine, aber mental instabile Mutter empfand – die ihrerseits nie ein Hehl daraus machte, dass sie ihre flachbrüstige Tochter «häßlich» fand. Dies, zusammen mit der männlich gefärbten Erziehung und den hohen Erwartungen, die Christina in Bezug auf ihre zukünftige Tätigkeit hegte, kam bald zum Durchbruch. Nach eigenem Bekunden entwickelte sie «eine unüberwindliche Abscheu und Widerwillen gegen alles, was Frauen tun und sagen», und gelangte zu der paradoxen Auffassung, dass «Frauen nie regieren sollten». Das Gefühl der Minderwertigkeit, das ihr Geschlecht ihr eingab, ließ sie die eher männlichen Züge ihres Wesens mit großem Nachdruck bejahen. So lief sie mit ihrem zerzausten Haar und ihren flachen Absätzen herum, kleidete sich absichtlich nachlässig und unelegant, aß einfache Speisen, fluchte viel, schlief wenig, ritt rasant und vorzüglich – es hieß, sie könne bis zu neun Stunden im Sattel verbringen –, verabscheute die Hofdamen und alle traditionell weiblichen Tätigkeiten und suchte ständig männliche Gesellschaft, kurz, sie tat all das, was Frauen nicht erlaubt war. Sie war eine begabte, neurotische, strahlend intelligente und ihre Arbeitskraft besorgniserregend überschreitende Pflichtperson, und man kann sagen, dass sie versuchte, die Erwartungen ihrer Umgebung und ihre eigenen hohen Ansprüche dadurch zu befriedigen, dass sie eine Art mentale Geschlechtsumwandlung an sich selbst vollzog.
In gewisser Weise war diese Verrenkung unvermeidlich. Sie lebte in einem Europa, in dem die Frau als Mensch zweiter und als Bürger dritter Klasse betrachtet wurde. Interessanterweise wechselte die Misogynie während des 17 . Jahrhunderts die Begründung. Bis dahin war das Dogma von der weiblichen Unterlegenheit mit theologischen Argumenten gestützt worden. Diese verloren jedoch im Verlauf des Jahrhunderts an Kraft, aber der von den Theologen fallengelassene Mantel wurde rasch von den Medizinern aufgegriffen, die nun in der Anatomie Argumente für die männliche Überlegenheit fanden: Ihre Körper sind ja so zerbrechlich und dergleichen. (Christinas lange Dauerritte und ihre schlampigen Essgewohnheiten können wohl teilweise als eine Revolte gegen diese Thesen gesehen werden.) Das Resultat war jedoch das Gleiche: Das weibliche Geschlecht wurde niedergehalten, ausgeschlossen, beiseitegeschoben. Zwar gab es männliche Autoren, die die Vorstellung von der Frau als einem unterlegenen Wesen, einem Missgriff der Natur, zurückwiesen und unter anderem zu zeigen versuchten, dass der hochverehrte Aristoteles irrte, als er behauptete, die Schöpfung sei eigentlich gänzlich männlich intendiert gewesen. Doch eine größere Durchschlagskraft bekamen diese neuen, frauenfreundlicheren Ideen nie. In den meisten Ländern Europas galt es nach wie vor als anstößig, wenn eine Frau allein durch die Straßen der Stadt ging.
Es ist bezeichnend, dass Axel Oxenstierna 1641 von der jungen Christina sagte, sie sei «nicht wie eine Frauensperson, sondern beherzt und von gutem Verstand». Eine gewöhnliche Frau war also
nicht
beherzt und von gutem Verstand, sondern ein unwissendes Wesen, dessen Wert darin bestand, dass sie dem Mann diente, Kinder gebar und den
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