Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
schrieb später, dass ein Kind, das dem Thron geboren werde, «ein Eigentum des Staates» sei. Eine königliche Kindheit war deshalb in Schweden nie eine private Angelegenheit, sondern Thema besorgter Debatten in Rat und Reichstag, die auch einzugreifen wussten, wenn sie der Meinung waren, die Erziehung der kommenden Regentin verlaufe in allzu gewundenen Bahnen. Die Vormundschaftsregierung griff auch einige Zeit nach dem Tod des Königs ein und entzog – um einen modernen Begriff zu gebrauchen – Maria Eleonora die Erziehungsgewalt über ihre Tochter.
Die deutschstämmige Maria Eleonora mit ihren ausgeprägten Wangenknochen, edel geschwungenen Augenbrauen und ihrem wohlgeformten Mund galt als Europas schönste Königin, aber sie fühlte sich zwischen Schwedens «schlimmen Felsen» nicht sehr wohl. Auch mit dem besten Willen kann sie nicht begabt genannt werden, sondern sie war launisch, egoistisch und psychisch labil. Obwohl es sich von Anfang an um eine Vernunftehe handelte, lebten Gustav Adolf und Maria Eleonora ungewöhnlich glücklich miteinander. Gustav Adolfs Tod war deshalb eine entsetzliche Katastrophe gewesen, von der sich Maria Eleonora nie erholte. Sie schloss sich und ihre Tochter in ein paar Räumen ein, in denen alles, einschließlich der Fenster, mit schwarzem Tuch verhängt war. Dort, im Schein von Wachskerzen, weinte sie sich in den Wahnsinn. Sie befahl, dass die Leiche des Königs nicht beigesetzt werden dürfe, bevor sie gleichzeitig mit ihm begraben werden könne. Sie befahl, dass der Sarg geöffnet bleiben solle, und jeden Morgen ging sie zu der Leiche, «die sie betrachtet, der sie Ehrenbezeugungen erweist, die sie streichelt, ungeachtet dessen, daß sie immer schwärzer wird und verfällt und fast nicht mehr zu erkennen ist». Im Juni 1634 war es endlich gelungen, den Sarg in der Riddarholmskirche beizusetzen, doch es dauerte nicht lange, bis Maria Eleonora sich Zugang zum Grabgewölbe verschaffte und zu der vermoderten Leiche hinabzukriechen versuchte. Schließlich sah sich ein unangenehm berührter Axel Oxenstierna gezwungen, eine Wache in dem Gewölbe zu postieren, um weitere Peinlichkeiten zu verhindern. Einige Jahre später floh Maria Eleonora durch einen von ihrer Kammer auf Schloss Gripsholm unter dem Garten hindurch zum See gegrabenen Gang als Bürgerfrau verkleidet nach Dänemark. Die enervierten Männer im Rat nahmen dies zum Anlass, den Namen der Königinwitwe auf der Stelle aus den Kirchengebeten zu streichen und ihre Apanage einzuziehen. Später benutzten sie die Flucht zu König Christian als eine der Begründungen für den Überfall auf Dänemark 1643 .
Die maßlose Trauer um ihren Gemahl raubte Maria Eleonora ihre ganze Kraft, und sie vernachlässigte ihre Tochter. Die einsame und isolierte Christina ihrerseits floh vor ihrer sinnesverwirrten Mutter und aus den geschlossenen, schwarzen Räumen hin zu den Büchern. Christina bekam zwei Lehrer, die rasch sehr viel für sie bedeuten sollten, auch emotional. Der eine war der Reichskanzler selbst, Axel Oxenstierna, der das kleine Mädchen mit bedeutender Sorgfalt und großem Geschick in Politik, Staatswissenschaft, Kriegskunst und Geschichte unterrichtete – sie bekam zum Beispiel früh Thukydides, Curtius Rufus, Justinus und Polybios in den Originalsprachen zu lesen – und sie von ihrem 14 . Lebensjahr an auf ihre öffentlichen Aufgaben vorbereitete. Der andere war Bischof Johannes Matthiæ, ein kartoffelnasiger Patriarch, der sie in Sprachen, Theologie und Philosophie unterrichtete. Insbesondere Matthiæ sollte das kleine Mädchen beeinflussen (nach einiger Zeit begann sie, ihn Papa zu nennen); und er regte ihr Interesse an philosophischen und theologischen Fragen an. Der Bischof war unter anderem von synkretistischen Ideen angefochten. Überall in Europa gab es humanistisch orientierte Theologen, die vor all dem Hass und Dogmatismus Abscheu empfanden und ein rasches Ende der ewigen Kämpfe und Verfolgungen sehen wollten, die Katholiken und Lutheraner, Calvinisten und andere geradezu mit Inbrunst gegeneinander ins Werk setzten. Diese sogenannten Synkretisten (wie beispielsweise der wohl größte Pädagoge des 17 . Jahrhunderts, der Böhme Johan Amos Comenius) plädierten für Weitblick und Toleranz und wirkten unermüdlich dafür, die so traurig zersplitterte Christenheit aufs Neue zu vereinigen. Matthiæ stand wie einige andere Schweden in Verbindung mit Comenius und war auch vom Synkretismus beeinflusst. In dieser Hinsicht
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