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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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dass man nichts hören konnte, doch dann konnte man immerhin versuchen, die Erschütterungen zu spüren, die ihre Arbeit verursachte, zum Beispiel, indem man eine Trommel auf den Boden legte und ein paar Würfel oder eine Handvoll Erbsen darauflegte. Das Geräusch wurde deutlich, wenn der feindliche Tunnel etwas unter 30 Meter entfernt war, und wenn er näher kam, pflegte man seinen Verlauf mit Hilfe langer Stöcke zu verfolgen, die man in Löcher steckte, die in die Seite des Tunnels gebohrt wurden. Wenn man nahe genug herangekommen war, musste man entscheiden, was man tun wollte: Entweder konnte man den feindlichen Tunnel mit Hilfe einer kleinen Sprengladung – einem sogenannten
camouflet
[Quetschmine] – sprengen oder ein Loch machen und versuchen, die feindlichen Mineure auszuräuchern, oder, wenn man in etwa auf dem gleichen Niveau war, in den Tunnel eindringen und die Gegner erschlagen. Möglicherweise hatte de Souches vor, die schwedischen Minengänge zu übernehmen und sie zu benutzen, um wichtige Teile der Belagerungsanlagen in die Luft zu sprengen. Auf jeden Fall stießen Mineure beider Seiten mit Pistolen und Handgranaten in den engen Schächten unter den Mauern Brünns aufeinander. Man kann sich die klaustrophobischen Szenen vorstellen: Männer mit verdreckten Gesichtern, struppigen Haaren und aufgeschrammten, blutigen Knöcheln tasten sich in einem engen, pechschwarzen Dunkel vorwärts, lauschen, horchen; eine Lunte zischt: plötzlich ein grellweißer Blitz, und im Moment danach ein furchtbarer, in der Enge ohrenbetäubender Knall – die Luft voll Staub und Rauch, und Erdmassen stürzen herab; Gestalten fallen, andere stürzen herbei, neue Blitze beleuchten erhobene Pistolen und etwas, das aussieht wie aus Erde gemachte Gesichtsmasken.
    Während es über der Erde zäh voranging, ging es unter ihr jedenfalls etwas besser; bei den Zusammenstößen in den Minengängen konnten die Schweden alle gegnerischen Versuche, die Tunnel zu übernehmen, abwehren und sogar fünf oder sechs Mineure töten.
     
    Der Weg nach Wien, der im Februar weit offen gestanden hatte, wurde langsam versperrt. In Schlesien, Böhmen und Mähren wurde jeder zehnte Mann zum Militär aufgeboten, in Oberösterreich jeder fünfte. Die Beamten des Kaisers dachten sich neue, raffinierte Steuern aus, vom Papst, aus Spanien usw. wurden neue Subsidien angefordert, neue Münzen aus eingeschmolzenen Kostbarkeiten der kaiserlichen Schatzkammer (ein großer Teil davon unschätzbare Kunstgegenstände, die von den indianischen Hochkulturen gestohlen waren und jetzt für immer vernichtet wurden) oder der Kirchen geschaffen, und neue Werbungen wurden durchgeführt. Die kaiserlichen Werber bezahlten wie gewöhnlich gut, sogar so gut – bis zu 50 Taler plus einen Bonus von 2 Talern für Überläufer –, dass Soldaten der schwedischen Armee reihenweise die Seite wechselten. Und während der Kaiser, wahrscheinlich nicht ohne eine gewisse Verwunderung, doch sicher voller Dankbarkeit sah, wie sich immer mehr schwedische Heeresteile eifrig grabend um das immer löcheriger werdende Brünn versammelten, konnten seine langsam erstarkenden Truppen ungestört die Donaulinie befestigen und vorsichtig die eine und andere schwedische Eroberung rückgängig machen, wie beispielsweise die Wolfsschanze bei Wien.
    So vertat Torstensson Monat auf Monat des Jahres 1645 in Erwartung von Verstärkungen, die nie kamen, und einer Kapitulation, die nie erfolgte. Beide Seiten waren gezwungen, Pulver zu sparen, und entlang der Mauern und Parallelen wurden deshalb zahlreiche Steinwurfduelle ausgetragen. Die Menschen in der Festung kämpften mit dem Mut der Verzweiflung: Kinder halfen auf den Mauern aus, Brünner Frauen liefen unter Beschuss hinaus in die Gärten der Vorstädte, um Gemüse nach Hause zu holen, und die bewaffneten Männer machten zahlreiche Ausfälle. (Bei einem solchen wurde ein Student am Knie verletzt. Er blieb einen ganzen Tag lang im Niemandsland liegen, während schwedische Soldaten ihn mit Steinen bewarfen. Und «zur Nachtzeit nahmen die Schweden ihm die Kleider ab, stachen sein rechtes Auge aus, stießen ihm eine Speerspitze durch den Nabel und schlugen ihm Rücken und Arme blutig».) Die Belagerung ging langsam voran. In der Sommerhitze mehrten sich die Krankheiten und Desertionen. Einige schwere Wolkenbrüche mit Donner und Hagel verwandelten die Approchen und Parallelen vorübergehend in tiefe Gräben, in denen das Fußvolk bis zur Hüfte im Wasser

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