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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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der Stadt, der zwischen den Brücken lag, war am schlimmsten in Mitleidenschaft gezogen worden. Das Geschehene war für die Betroffenen eine unfassbare Heimsuchung. Viele verloren ihren gesamten Besitz im Feuer, darunter nicht zuletzt die Nahrungsvorräte für den Winter, «wodurch die armen Leute in große Not und Elend geraten sind», wie es in einem Brief an den König hieß, der ein paar Tage später geschrieben wurde. Es war insbesondere die alte Stadt, die niedergebrannt war, die Stadt mit Dächern aus Birkenrinde und grünem Gras, auf denen Ziegen weideten, die Stadt mit ihrem Wirrwarr von engen und gewundenen Gassen. Das Feuer machte Platz für eine neue Stadt, mit weiten, schnurgeraden Straßen, regelmäßigen Karrees und großen Häusern aus Stein.
    So kann man auch die Epoche in wenigen Worten zusammenfassen: Die Katastrophe bereitet dem Neuen den Weg.
    Es war das Jahr 1625 , die Stadt war Stockholm, und hier, in einem Haus in der schmalen Stora Gråmunkegränden, erblickte der Mann im Schilf das Licht der Welt. «Den 10 . octobris bin ich, Erik Jönsson Dahlberg, in diese erbärmliche und elende Welt geboren» – so schrieb er später selbst. Er wurde in einer rußigen, nach Rauch riechenden Stadt geboren, in einem Europa, das in Brand geraten war.
    Seine Welt war eine andere als unsere. Die Sonne (von der manche meinten, sie sei eine Anhäufung von Staub in Bewegung, während andere sagten, dass sie eine Feuerkugel sei) drehte sich um die Erde, und nicht umgekehrt. Das Weltall war klein und endlich, und in der Mitte des Ganzen ruhte die Erde still und unbeweglich – eine Erde, von deren Scheibenform die allermeisten Menschen weiterhin überzeugt waren. Diese Erde war die einzige in der ganzen Schöpfung, der Mittelpunkt des Alls, um den sich die Sonne, der Mond, die Planeten und gleich hinter ihnen die ewigen, unzerstörbaren Fixsterne in einem ewigen Kreislauf drehten.
    Das Weltall war gleichsam ein lebender Organismus, durchdrungen von einer in allem wirksamen Weltseele: Gott. Er war es, der allem seine Vorwärtsbewegung und seine Kraft gegeben hatte. Die gesamte Schöpfung war ausschließlich ein Werk dieses Allweisen. Die Natur war vollkommen gemacht bis ins geringste Detail, und sie folgte genau der Ordnung, die Gott einst befohlen hatte. Jedes Ding hatte seine vorausbestimmte Eigenart. Denn alles, was es in der Welt gab, hatte eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen und einen zugewiesenen Platz einzunehmen. Der Zweck der Sonne war, das Tageslicht zu bringen, die Aufgabe des Feuers, zu brennen.
    In der Mitte der Schöpfung stand der Mensch. Die Welt mit allem, was in ihr war, war für ihn da. Ihm sollten die Steine, die Pflanzen und Tiere, die Erde, das Wasser und das Feuer, die Luft und die Sterne und die Engel dienen. Jedes kleine Teil in der Welt war ein Glied in der großen Kette der Schöpfung, wo alle Dinge sorgfältig in eine zusammenklingende Einheit eingeordnet waren. In dem großen Weltall war alles stillstehende Harmonie, und eine Veränderung war nicht denkbar. Doch unter dem ewig ruhenden Gewölbe der Himmelssphären gab es die Erde der Menschen, und hier, fanden sie selbst, war alles Verwandlung. Die Menschen und ihre Reiche wurden von Unbeständigkeit und Vergänglichkeit geplagt, gefangen in einem ewigen Kreislauf von Geburt und Tod, Aufstieg und Verfall. Das Leben war eine Prüfung, eine Qual, von der man erlöst werden musste, und die Welt der Menschen ein schattenumflossenes Jammertal, erbärmlich und elend.
    Gerade in diesem Jahr 1625 war es, als sei etwas im Inneren des Kontinents aus den Fugen geraten. Eine mehr als einhundert Jahre lange Epoche des Wohlstands und anscheinend ungebrochenen Fortschritts schien ihr Ende erreicht zu haben.
    Die Expansion der Landwirtschaft, die das ganze 16 . Jahrhundert hindurch angehalten hatte, war bereits zum Stillstand gekommen, doch nun zeigten auch der bis dahin so blühende Handel und das Manufakturgewerbe Zeichen der Ermüdung, ja sogar des Rückgangs. Nichts von dem, das einst so erfolgreich gewesen war, schien noch richtig zu funktionieren, während gleichzeitig nichts in Sicht war, das auch nur einer Alternative ähnlich war. Eine wirtschaftliche Krise von selten erlebtem Ausmaß war im Begriff, sich wie ein allzu rasch wachsendes Inlandeis über einen verblüfften und ratlosen Kontinent auszubreiten. Außerdem kamen Berichte über Unruhen, Getöse und Brände aus verschiedenen Teilen Europas:
    Warte auf das wilde Tier, warte auf das

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