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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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Name lautete – war in seiner Ausdehnung von der Ostsee im Norden bis zum Adriatischen Meer im Süden, von den spanischen Niederlanden im Westen bis zu den Kleinen Karpaten und der polnischen Grenze im Osten das größte Reich Europas. In dieser Epoche waren sämtliche Staaten Europas mehr oder weniger schwach zusammengehalten. Überall gab es regionale Vielfalt und Zersplitterung, und die meisten Reiche sind als eine Art von Zusammenschlüssen von Ländern und Provinzen [2] anzusehen, in denen ein kleiner Teil eifersüchtig seine eigenen Interessen und Gewohnheiten bewachte. Das deutsche Reich war indessen ein ganz besonders zerstückelter Flickenteppich, der aus ungefähr 1800 halb selbständigen Staaten und Gebieten bestand, die von rund 20 Millionen Menschen bewohnt wurden. Es gab Herzog-, Fürsten-und Kurfürstentümer, reichsfreie Orte und Reichsstädte, Grafschaften verschiedener Art, Bistümer, Stifte, kirchliche Gebiete und Propsteien, die freien Gebiete der Reichsritterschaft, kaiserliche Erblande und so weiter. Diese verschiedenen Teile, die in ihrer geographischen Kakophonie zusammen Deutschland ausmachten, variierten außerdem sehr in ihrer Größe. Die allergrößten Staaten wie Sachsen, Brandenburg und Bayern waren Reiche kraft eigenen Rechts, jedes mit einer Bevölkerung, die ungefähr der Schwedens gleichkam; dann ging es in gleitender Skala abwärts, bis hinab zu den zahllosen kleinen Territorien der Reichsritter, die nur aus dem Teil eines Dorfs bestehen konnten. Die Albträume der Kartographen wurden dadurch nicht geringer, dass auch diese größeren Länder häufig auseinandergebrochen und unzusammenhängend waren. (Natürliche Grenzen waren in dieser Zeit, in der es überall politische, wirtschaftliche und religiöse Enklaven gab, unbekannt. Gerade und scharf gezogene Grenzen waren ebenfalls eine Seltenheit in einem Europa, wo Privilegien, Hypotheken und alte Streitigkeiten um Souveränität die Linien der Karten unklar und zerstückelt sein ließen.) Und beinah jedes kleine Territorium, von dem wohlhabenderen Süden bis hinauf zu den ärmeren Gebieten Nordwestdeutschlands, streckte kreuz und quer seine Polypenarme aus, in einem Durcheinander, das nur Jahrhunderte einer hartnäckigen feudalen Zersplitterung hatten zustande bringen können. Und über all diesem thronte der Kaiser – so sagte man in Europa, «der Kaiser», ohne anzugeben, welches Land man meinte, denn wie es nur einen einzigen Papst gab, so gab es nur einen einzigen Kaiser. (Seit der Mitte des 16 . Jahrhunderts kam der Kaiser aus dem österreichischen Zweig des Hauses Habsburg. Zwar war das Reich ein Wahlkaisertum, aber in der Praxis waren die Habsburger die Einzigen, die über das Geld verfügten, das nötig war, um dieses mit der Zeit unterhöhlte und mit Mitteln schlecht ausgestattete Amt auszuüben.)
    Nun war dies kein so monströses Staatsgebilde, wie ein moderner Betrachter zu glauben versucht sein kann. Das deutsche Reich war eine Art Netzwerk, das mehrere verschiedene Völker vereinigte. Die Einheit des Reichs war alles andere als total – und wie hätte es anders sein können, wo viele seiner Fürsten darauf bestanden, untereinander oder mit fremden Ländern nach eigenem Gutdünken Verträge zu schließen –, doch solange es funktionierte, wie es gedacht war, beinhaltete dieses Netzwerk für die Angeschlossenen tatsächlich viele Vorteile. Es war ein Schirm, unter dem viele verschiedene Sprachen, Kulturen und Religionen Seite an Seite leben konnten und die Unabhängigkeit und Sicherheit der zugehörigen Länder gewährleistet war.
    Erst mit der katholischen Gegenreformation, die das religiöse Gleichgewicht, das seit 1555 im Reich herrschte, störte, hatte es angefangen, richtig schlechtzugehen. Die Unruhe hatte sich langsam fortgepflanzt und dazu geführt, dass sich einige protestantische Fürsten 1608 in einer bewaffneten Union zusammenschlossen, mit der Folge, dass eine Handvoll katholischer Fürsten, in der Idiotenlogik der Eskalation befangen, im Jahr darauf eine eigene Liga gründeten. Auf ihrer Jagd nach guten Bundesgenossen begannen beide Seiten bald, auch außerhalb der Grenzen des Reichs zu suchen. Es war natürlich, so zu handeln, denn die Vision der Einheit aller rechtgläubigen Christen war für viele bedeutend wirklicher als die unklaren Staatsgrenzen, die sie trennten. Was die Akteure nicht in nennenswertem Grad bedachten, war, dass man auf diese Weise einen Mechanismus schuf, der einen im Grunde

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