Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Fischer mit Essen und Trinken zu dem Mann hinaus, der dahindämmernd in voller Bekleidung mit Sporen an den Stiefeln unter dem Segel lag. (Um die Verpflegung zu bezahlen, hatte er dem Fischer die Taschen mit Geld anvertraut.) Er aß fast nichts, trank aber unmäßige Mengen Bier. Aber alles schien vergebens, denn wie die Tage vergingen, wurde er nur schwächer und schwächer. Nach fünf Tagen brachte der Fischer seinen dreizehnjährigen Sohn mit hinaus zu dem Boot im Schilf und ließ den Jungen als Helfer zurück.
Inzwischen erreichte die Pest ihren Höhepunkt. Der Mann phantasierte wild. Bei einer Gelegenheit gab er dem Fischer ein paar Ringe und einige Stücke Gold. Dieser musste ihm daraufhin versprechen, ihn unter einer großen Eiche zu begraben, die sie auf einem hohen Steilhang am Ufer sehen konnten; und der Fischer sollte darauf achten, den Sarg lang genug zu machen, damit «die Füße nicht weh taten». Und schon bald brach eine große Pestbeule auf der rechten Halsseite des Mannes aus, die so stark anschwoll, dass sie ihn zu ersticken drohte. Aber schließlich platzte sie, nach innen, und er erbrach Eiter. Dies war die Wende. In der Folgezeit stieg er langsam aus dem Dunkel seines Fieberwahns herauf.
Als der Mann zum ersten Mal erwachte, wusste er nicht, wo er war, und nicht einmal, wer er war. «Nach 19 Tagen kehrte mein Verstand allmählich zurück», schreibt er im Tagebuch, «so daß ich zunächst begann, mich selbst zu fühlen, und daß ich ich selbst war, mich besann, wer ich war, wo ich war und wie ich an diesen fremden Ort gekommen sein mochte, worüber ich mich nicht wenig wunderte». Er schreibt, dass sein Verstand «gleichsam tropfenweise nach und nach zurückzukehren begann». Stück für Stück, Tropfen für Tropfen fielen seine Erinnerungen, sammelten sich, fügten sich zusammen.
Was sah er eigentlich in den Tropfen, die vorüberglitten und allmählich sein Bewusstsein wieder füllten? Vielleicht die Szene, als er im Alter von fünf Jahren fortgeschickt wurde von der Mutter und den Geschwistern? Möglicherweise die unbekannten Seewesen im Meer jenseits von Bornholm? Oder vielleicht die Reise mit der Leiche den Fluss hinab im vom Krieg verwüsteten Deutschland? Vielleicht die Spuren der Hufeisen, die er auf der Bastion in Nürnberg gesehen hatte, wo der Hexenmeister Abel von Gallen seinen Sprung über den Wallgraben getan haben sollte? Die sieben Piratenschiffe vor der Stadt Palermo? Oder vielleicht die nackten Frauen in Venedig mit ihren breiten Hüften und fülligen Schenkeln? Oder erschaute er am Schluss Jerusalem?
II. Die ersten Jahre ( 1625 – 1630 )
1 . Diese erbärmliche und elende Welt
Der große Brand in Stockholm – Eriks Geburt – Das Weltbild – Die Lebenseinstellung – Der Zustand Europas – Ein Jahrhundert des Unfriedens
Der Brand begann in einem kleinen Nebenhaus im südwestlichen Teil der Stadt, wo zwei Frauen Bier brauten. Von dort hatte er auf ein paar naheliegende Häuser und Buden übergegriffen, wo er reiche Nahrung fand. Vor dem Winter war das Holz auf Dachböden und in Kellern bis an die Decke gestapelt, und in den Buden lagerten Teer und Hanf für den bevorstehenden Markt. Der starke Wind aus Westnordwest hatte in plötzlichen, ruckartigen Stößen Feuerkeile durch die dichtgedrängte Bebauung getrieben. Menschen krochen auf den Dächern umher und versuchten, mit nassen Segeln und Kleidungsstücken das Übergreifen des Feuers auf ihre Häuser zu verhindern, stattdessen schlugen die pfeifenden Flammen durch die Fenster hinein. Als die Fachwerkhäuser erst einmal Feuer gefangen hatten, schmolzen die tragenden Holzteile rasch hin, und die Gebäude fielen zusammen; die Menschen in den Häusern und in den angrenzenden engen Gassen wurden lebend unter Lawinen von Stein und rauchenden Balken begraben. Panik griff um sich. Die Schiffe im Hafen legten ab, um dem Funkenregen zu entgehen. Von Entsetzen gepackte Menschen liefen von den gemeinsamen Löscharbeiten davon.
Der Brand hatte bis zur Mittagszeit des folgenden Tags gedauert. Da flaute der starke Wind ab, und das Feuer sackte in sich zusammen, eingeschnürt in seine eigenen rußigen Eingeweide. Von einem Fünftel der Stadt war aufs Ganze gesehen nichts übrig geblieben als Schornsteine, die wie geschwärzte Finger zum Himmel zeigten, die gemauerten Herde der Häuser und die verkohlten Skelette niedergebrannter Steingebäude. Auf den rauchenden Brandstätten wühlten Menschen in der Asche. Der südwestliche Teil
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