Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
anderes mehr. Ein gutes Programm, so mag es scheinen, und das war es auch, aber was die Sache so vertrackt machte, war der Umstand, dass die Wahrheitsforderung dieser Aufgabe untergeordnet wurde. Die Auswahl von Fakten war deshalb mehr von Rücksichten hinsichtlich ihres poetischen Glanzes und ihrer moralisch-politischen Anwendbarkeit als von ihrer tatsächlichen Beweiskraft bestimmt. Wahrheit bekam man bestenfalls nebenbei mit.
Die europäische Frühmoderne war aber auch eine Zeit, in der man die Geschichte wirklich entdeckte. In allen Ländern saßen Gelehrte und Laien und forschten und schrieben und entdeckten zu ihrer großen Freude, dass gerade ihr Geschlecht oder ihr Fürst oder ihr Volk eine bemerkenswert lange und große Geschichte hatte. Daher hatten auch gerade ihr Geschlecht oder ihr Fürst oder ihr Volk eine besondere Freiheit, sich in der Gegenwart zu bedienen – und wenn es etwas gab, das in der ersten Hälfte des 17 . Jahrhunderts Recht verlieh, dann waren es Alter und Ahnen, ganz gleich, ob es sich um Geschlechter oder Fürsten oder Völker handelte. In Frankreich wie in England gab es Menschen, die geltend machten, dass ihre Länder von Personen gegründet wurden, die einst aus Troja geflohen waren – eine Entdeckung, die sinnigerweise ihre Reiche älter machte als das Heilige Römische Reich des Kaisers, das mit einem gewissen Recht behaupten konnte, aus dem so gefeierten Imperium Romanum hervorgegangen zu sein. Unter den Holländern war es nicht schwer, Menschen zu finden, die überzeugt waren, dass sie in direkter Linie von den Überlebenden der Sintflut abstammten. Das Geschichtsbild des polnischen Adels war zu dieser Zeit von der Idee geprägt, dass seine Mitglieder Abkömmlinge der antiken Sarmaten seien, die einst in grauer Vorzeit die Länder zwischen Weichsel und Djnepr erobert und die Bevölkerung versklavt hatten – der Gedanke, dass sie von anderem Blut seien als gewöhnliche Menschen, brachte bei ihnen wie auch bei einem Teil des französischen Adels mit ähnlichen abstrusen Ideen etwas hervor, das ohne Zweifel einem Klassenrassismus glich. Die ukrainische Starschina sollte bald mit einer ähnlichen Entdeckung aufwarten, mit dem kleinen Unterschied, dass sie ihre Vorväter in den mythischen Roxolanen erkannte, während gleichzeitig die moldawischen Bojaren gern von ihren engen verwandtschaftlichen Banden mit den antiken Römern faselten.
In Schweden wollte man nicht schlechter dastehen, sondern kultivierte, wie bereits erwähnt, den Götenmythos. Er kann auf einen interessanten Rangstreit auf dem Konzil in Basel 1434 zurückgeführt werden. Damals verteidigte Nikolaus Ragnvaldi, der Bischof von Växjö, das Recht der Schweden auf einen guten Platz mit dem Hinweis auf Berichte des Jordanes aus dem 6 . Jahrhundert über die Goten, die von ihrer Insel Scandza im Norden ausgewandert waren und sich zahlreiche Reiche unterworfen hatten – und die Goten, das waren natürlich die Göten, die in Südschweden lebten. Scharen von schwedischen Gelehrten folgten auf Ragnvaldis Spuren, füllten auf, fügten hinzu und polierten etwas, das rasch zu einer großartigen, wenngleich ein wenig wildwüchsigen historischen Konstruktion wurde. Schweden war nicht eines der ältesten Reiche auf der Erde, es war
das
älteste, behaupteten sie. Der älteste Mensch war ja auf gewisse Weise schwedisch, oder wie der Altertumsforscher Bureus schrieb:
Mit noch größerem Fug und Recht können sich die Schweden [svenskar A.d.Ü.] auf ihre Sprache berufen und daraus ein altes Recht ableiten und sagen: der erste Mensch mußte ja SVEN heißen. Vor allem deshalb, weil er ein sven war, das heißt: ein Mensch männlichen Geschlechts, der noch nie etwas mit Frauen zu schaffen hatte.
Irgendjemand meinte auch, auf Belege dafür gestoßen zu sein, dass Adam zumindest eine gewisse Zeit seines Lebens in Schweden gelebt hatte, um dort einen Teil seiner Nachkommenschaft in frommer Lebensart zu unterweisen. Andere durchstöberten die griechische Mythologie und fanden dort zu ihrem unverhohlenen Entzücken Erzählungen von einem glücklichen, langlebigen Volk, den Hyperboreern, von denen es hieß, sie wohnten im Norden, auf der Insel Atlantis, wo der Gott Apollo einen Teil seiner Zeit verbracht habe und in einem weithin bekannten Tempel verehrt worden sei. Es dauerte nicht lange, bis sowohl Stiernhielm als auch Bureus darauf kamen, dass die Insel Skandinavien gewesen sein
musste
und dass der Tempel selbstverständlich der
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