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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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heidnische Tempel in Uppsala sein
musste.
Die Geschichte des Schwedenreiches begann indessen etwas später, nämlich als Noahs Sohn Magog 88 Jahre nach der Sintflut an unseren nördlichen Küsten an Land stieg. Aus diesem Mannessamen entstanden dann alle Völker der Welt, die dankbar von Schweden aus in die Welt zogen. Die Schweden selbst blieben zu Hause – gedankenvoll miteinander Gotisch sprechend, die Wurzel und der Ursprung aller Sprachen –, doch nachdem sie während einiger ruhiger Jahrhunderte an Stärke und Ambitionen gewachsen waren, wurde ein Teil dieses tapfersten aller Völker angesichts dieses eine Spur zu beschaulichen Lebens in Götaland von Überdruss befallen und wanderte davon, um Ägypter, Griechen, Perser, Römer, Hunnen und anderes Gesindel, das ihnen in die Quere kam, zu bekriegen sowie ganz nebenbei das eine oder andere Vasallenreich von meistens riesiger Ausdehnung zu gründen. So lautete in groben Zügen der Tenor des Ganzen.
    Während des 16 . Jahrhunderts fungierte dieser Mythos vor allem als Trost, als eine Waffe, mit der man bei einem Streit über Prozessionsreihenfolge und Bankettplätze etwas pathetisch winken konnte, wenn Gesandte aus dem unbedeutenden und ärmlichen kleinen Reich am Rand Nordeuropas sich wieder einmal beiseitegeschoben sahen; in der ersten Hälfte des 17 . Jahrhunderts wurde er jedoch, wie Sten Lindroth schreibt, «der natürliche Ausdruck des überschäumenden Kraftgefühls einer gerade erwachten Nation, die selbst Heere auf den Kontinent führte und eine Rolle in der Weltgeschichte zu spielen begann». Wie gesagt, Gustav Adolf gehörte zu den Förderern des Götenmythos, und er zögerte nicht, auf die alten Eroberungszüge der Vorväter hinzuweisen, um sein Volk zu neuen zu verleiten. Und viele Gelehrte, Dichter und Stückeschreiber hatten das Ihre dazu beigesteuert, die stolze und nicht wenig waffenklirrende Botschaft von den urstarken Göten, die vor Zeiten die Welt überschwemmten, in Schweden unters Volk zu bringen – zuweilen mit fein gepinselten Appellen garniert, der Krone gegen zwölf Prozent Zinsen Geld zu leihen. Es ist zweifelhaft, ob die ehrenvolle Botschaft jemals bei anderen als den Belesenen und dem einen oder anderen König wirklich Wurzeln schlug. Das lauteste gotische Trompetenschmettern verstummte kurz nach Gustav Adolfs Tod, aber die meisten Schweden der höheren Klassen konnten sich wohl notdürftig in den dunklen Irrgängen des Mythos orientieren, und ihr Bild von der Vergangenheit ihres Landes war sicherlich vom Nachhall der Sagen von Magog, Berik, Sveno, Starkodd, Ham, Set, Japhet und den anderen wunderbaren Männern und Frauen geprägt, für deren Nachkommen sie sich hielten.
    Die Frage ist, wie diese und andere, vergleichbare Vorstellungen von der Geschichte die Menschen des 17 . Jahrhunderts, die mit ihnen und aus ihnen heraus lebten, beeinflussten. Legt man diese Bilder gleichsam durchleuchtet übereinander und gestattet sich außerdem unter Berücksichtigung der Trivialisierung, der alle eklektischen ideologischen Systeme ausgesetzt sind, wenn sie verbreitet werden, einen gewissen Spielraum, so entsteht ein seltsamer Geschichtsverlauf. Irgendwo in nebliger Ferne ahnt man das unvermeidliche Goldene Zeitalter, harmonisch, schön und strahlend, doch dann folgen Chaos, Streitigkeiten und trister Verfall. Viele nationale Geschichtsmythen, die man überall in Europa während des 17 . Jahrhunderts kultivierte, erzählten immer wieder von Völkern, die wanderten, von Armeen, die marschierten, und Reichen, die zerfielen. Wie alle anderen Epochen betrachtete sich das 17 . Jahrhundert im Spiegel der Geschichte und sah nichts anderes als sein eigenes hässlich verzerrtes Gesicht.
    Denn als Europa sich der zweiten Hälfte der vierziger Jahre des 17 . Jahrhunderts näherte, sah es nicht danach aus, als sollte all das Unheil, das am Beginn des Jahrhunderts vorzuherrschen schien, nun nachlassen. Im Gegenteil, die Entwicklung schien in einer immer schnelleren Spiralbewegung einem Höhepunkt zuzutreiben, von dessen grauenhafter Bedeutung man etwas ahnen, aber nichts wissen konnte. Mehr Kriege und Aufstände als jemals zuvor wüteten auf dem Kontinent. Es gab fast kein Land, das nicht betroffen war. Seit einigen Jahren waren auch die Britischen Inseln von der Unruhe angesteckt: Iren und Schotten standen unter Waffen, während zur gleichen Zeit ein revolutionäres Parlament und eine konservative Königsmacht in einen Bürgerkrieg verstrickt waren, der

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