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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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im großen Proletariat der Demobilisierten zu werden. Außerdem wäre es unklug gewesen, den Auftrag abzulehnen. Man konnte es so sehen, dass er Karl Gustav einen Dienst erwies. Der Platz beim Bankett in Nienburg, den Lorenz van der Linde für Erik organisierte, ist eins von mehreren Zeichen dafür, dass der junge Mann mit Hilfe Mardefelts und Rehnskiölds in das lockere, aber große Netz von Klienten einbezogen wurde, das um den Pfalzgrafen herum bestand und das große Bedeutung bekommen würde, wenn dieser erst einmal den schwedischen Thron bestiegen hätte – wann das nun sein mochte. Erik unternahm jedoch einen kleinen Versuch, sich vom Haken zu winden: Kurz vor seiner Abreise verfasste er eine untertänige Bittschrift an den hohen Herrn, den er gern als seinen neuen Patron angesehen hätte, Karl Gustav. Erik nahm sich viel Zeit und machte sich große Mühe mit seiner Bittschrift, die nahezu ein kalligraphisches Kunstwerk wurde, mit Formulierungen, die mindestens so verschnörkelt waren wie die Buchstaben. In dem Brief berichtete er von seiner dreieinhalbjährigen Tätigkeit im Dienst Mardefelts, in der er gelernt habe, die Elemente der Befestigungskunst einigermaßen zu beherrschen. Um sich weiter auszubilden, wolle er nun reisen und «fremde Königreiche und Länder betrachten», doch leider fehle es ihm an Mitteln dazu, weshalb er hoffe, der gnädige und großzügige Graf wolle ihm mit einem Beitrag helfen, wobei Erik diesem auch gleichzeitig ewige Treue versprach. Eine sofortige Antwort erhielt Erik indessen nicht, und so musste er sich brav nach Frankfurt verfügen.
    «Am 16 . September kam ich in die schöne und lustige Reichsstadt Frankfurt am Main», schreibt er im Tagebuch, «woselbst ich den Residenten Snoilsky aufsuchte und ihm meine Kreditive überreichte, [und] als erstes über Bezahlung verhandelte». Auch wenn die Tätigkeit an sich weniger erfreulich war, konnte Erik froh darüber sein, gerade in diese Stadt geschickt worden zu sein. Frankfurt am Main war neben Hamburg und Leipzig eins der kommerziellen und kulturellen Zentren des deutschen Reiches. Die freie Reichsstadt war protestantisch, aber dennoch dem Kaiser treu, und abgesehen von einigen Kampfhandlungen und schwedischer Besatzung in den Jahren nach 1630 war die Stadt vom Krieg verschont geblieben. Während mehrere andere große deutsche Städte wie Augsburg, Nürnberg, Köln und Aachen eindeutige Probleme hatten, nach dem Friedensschluss wieder auf die Füße zu kommen, hatte Frankfurt am Main sich rasch erholt. Die Stadt genoss auch den Vorteil, ein großes, fruchtbares und ziemlich unberührtes Umland zu haben. Darüber hinaus stellte sie ein wichtiges Bindeglied im Handel zwischen Ost und West dar, hatte eine alte und gut funktionierende Börse, ein starkes Finanzwesen und zwei jährliche Messen, die im März und September Kaufleute aus ganz Europa anzogen. Einmastige Schuten und Prahme in Mengen liefen die Stadt auf dem Main und vom Rhein her an und entluden ihre Lasten in einem der vielen kleinen Häfen. Der Handel und das kulturelle Leben der Stadt waren durch ihre lange Geschichte von Neutralität und Glaubensfreiheit begünstigt worden. Seit dem 16 . Jahrhundert hatte Frankfurt am Main Menschen angezogen, die vor religiöser Verfolgung geflohen waren; aus den Niederlanden geflüchtete Reformierte hatten viel für das Wachstum der Wirtschaft getan, und die Stadt hatte auch eine bedeutende jüdische Gemeinde. (Sie war einmal größer gewesen, aber viele waren während eines Aufruhrs in der Stadt, der 1612 begonnen hatte, vertrieben worden. Damals hatten unzufriedene Einwohner der Stadt unter der Führung des Zuckerbäckers Vincent Fettmilch die trägen, großbürgerlichen Stadtoberen angegriffen und eine demokratischere Machtausübung gefordert und das große jüdische Getto geplündert und zerstört – ein Beispiel dafür, wie Volksaufstände aus dem Ruder laufen und Menschen und Gruppen treffen konnten, die ein ungnädiges Schicksal, Hysterie und Vorurteile zu Sündenböcken ausersehen hatten.) Eine Vielzahl von Kirchen, fünf katholische und zehn protestantische, zeigten, dass die verschiedenen Glaubensrichtungen miteinander leben konnten, während der Golddekor des großen Doms von ihrem Reichtum zeugten. (Ein schwedischer Besucher war besonders von einem seiner Uhrwerke angetan: «Wenn die Uhr schlagen sollte, stand ein künstlicher Mann da, der den Hammer hielt und zuschlug.») Wie viele wirtschaftlich erfolgreiche Orte hatte

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