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Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

Titel: Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Englund
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und ihren Körpern wurde jetzt allmählich aufgebrochen. Wer Festmahlzeiten arrangierte, versah nun jeden Gast mit einem eigenen Teller, einem eigenen Glas und eigenem Besteck. Als der in Tischmanieren versierte Magnus Gabriel De la Gardie nach seinem Frankreich-Aufenthalt 1646 ein Essen gab, bei dem sich jeder Gast mit eigener Gabel, Messer und Löffel versehen sah, wurde dies als Luxus allerersten Ranges angesehen. (Die Gabel war eine Neuheit. Sie war größer und gröber als ihre heutige Verwandte und wurde auch etwas anders gehandhabt. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurde sie in der Oberschicht akzeptiert. Gewöhnliche Sterbliche benutzten sie überhaupt nicht.) Diese verfeinerten Tischsitten waren nicht nur ein weiterer Stein in der Mauer aus Scham und Prüderie, die allmählich um das Individuum und seinen Körper errichtet wurde. Auch handelt es sich nicht nur um ein Zugeständnis an die gesteigerte Empfindlichkeit der Zeit gegenüber Schmutz und Gestank – eine Empfindlichkeit, die paradox war, denn die Hygiene der Menschen war im 17 . Jahrhundert in der Regel schlechter als während des Mittelalters. Die Verfeinerung war wie die Verschwendung in hohem Maß eine Frage der Klasse. Seit dem 16 . Jahrhundert war es üblich, dass Verfasser von Büchern über Anstand und Etikette die Gewohnheiten von Bauern als Beispiel dafür verwendeten, wie es
nicht
sein sollte. Es war ganz einfach so, dass etwas korrekt war, solange feine Leute es taten, während die Manieren des einfachen Volks automatisch als plump und peinlich abgetan wurden. Früher hatten die Elite und die Bauern in einem ebenso beständigen wie engen Kontakt gestanden, und die Oberklasse nahm oft Anteil an den verschiedenen Manifestationen der Volkskultur, beispielsweise an Festen und am Karneval. Nun zog sich die Elite, die gebildete Minderzahl, nach und nach zurück. Die teuren Bestecke und die verfeinerten Tischsitten dienten hier als eine weitere Möglichkeit, sich gegen Krethi und Plethi abzugrenzen. (Eine gewöhnliche Bauernfamilie aß ihr ganzes Essen aus einer gemeinsamen Schüssel, möglicherweise hatte jedes Familienmitglied einen eigenen Holzlöffel.) Und das Fest als solches war eine Gelegenheit für den, der Freunde gewinnen, sein Ansehen mehren und neue Hierarchien festigen wollte, ein Ereignis von
    goldbestickten und betreßten Kostümen, edlen Steinen, offenen Feuern und Fidibussen, Gedränge von Kutschen, Straßenlärm, leuchtenden Fackeln, Volksgewimmel und Überfahrenen, kurz gesagt Chaos und Verwirrung; von Fragen ohne Antwort, von Komplimenten, die nie ihren Adressaten erreichten, von Höflichkeit, ohne zu wissen, gegen wen; von Füßen, die sich in Schleppen verhedderten …
    Diese noblen Feste waren bald regelrecht öffentlich. Neben denen, die an den Tischen saßen und aßen, gab es immer auch zahlreiche Zuschauer, und damit sind nicht in erster Linie die Gruppen der Armen gemeint, die sich im Allgemeinen vor den Fenstern sammelten in der Hoffnung, hinausgeworfenes Konfekt zu ergattern oder die Reste zu genießen, sondern vielmehr jene, die in den Festsaal eingelassen wurden, um an den Wänden zu stehen – gemeinsam mit den ständig anwesenden Hunden – und zuzuschauen, wenn die feineren Gäste aßen und tranken. Auch die zu Tisch saßen, wurden unterschiedlich behandelt. Leute von niedrigerem Status erhielten anderes Essen und andere Getränke als diejenigen, die in der Rangskala höher standen. Bei einem für einen portugiesischen Gesandten gegebenen Essen in Stockholm 1641 bekam der Gesandte selbst 32 Gerichte, während das gemeinere Volk nur sechs bekam. Die Entwicklung im Verlauf des Jahrhunderts führte fort von einem mittelalterlichen Typ von offenen, lärmenden und buntgewürfelten Banketten, an denen große Scharen gewöhnlicher Leute teilnahmen – es brachte einem großes Prestige ein, große Menschenmengen um sich zu sammeln –, hin zu einem Typ von immer mehr geschlossenen und exklusiven Veranstaltungen, bei denen es vor allem darauf ankam, den verfeinerten Ansprüchen der Elite zu entsprechen und seine gehobene Exklusivität zu beweisen.
    In einer Zeit, in der es für gewöhnliche Menschen immer schwieriger wurde, Zutritt zu den großen Banketten zu erhalten, wurde es auch immer wichtiger, wirklich dabei zu sein. Bei einem großen Fest oder Bankett zugegen gewesen zu sein, war etwas, mit dem man prahlen konnte. Deshalb dürfen wir annehmen, dass es für Erik Jönsson ein großer persönlicher Triumph war, als

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