Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
ihm von Lorenz van der Linde ein Platz bei dem Bankett in Nienburg angeboten wurde. Irgendetwas war offenbar geschehen. Im Frühjahr 1642 hatte sich der noch nicht 20 -jährige Erik, damals ein armer Diener von einfacher Herkunft auf der untersten Stufe der Hierarchie, eindeutig skeptisch über den Feudalstaat geäußert – damals repräsentiert durch Johan Oxenstiernas pompöses Auftreten in Pommern. Gut acht Jahre später hat er faktisch begonnen, in den Rängen aufzusteigen: Erik war nun nicht mehr der Laufbursche einer Privatperson, sondern Kondukteur in der Fortifikation, einer von den Männern der Königin, ein kleines, aber gut funktionierendes Zahnrad in der großen Maschinerie der schwedischen Großmacht. Kritische Kommentare über den ganzen Flitter und Pomp sind in seinem Tagebuch nicht mehr zu finden. Es liegt auf der Hand, dies als Ausdruck einer bei Erik selbst veränderten Einstellung zu deuten. Er hat angefangen, ein wenig von den Fleischtöpfen zu kosten, die er früher nur in Form aufreizender Düfte geahnt hat. Er ist keineswegs unkritisch gegenüber der machtgeblähten Aristokratie und ihrem Übermaß an Privilegien, aber seine Skepsis ist durchaus gemischt mit einer gewissen widerwilligen Faszination durch ihre Macht und ihre grandios heroische Formwelt, ihre großartigen Gebärden und ihre Lebensart. Jener Stuhl an der Tafel beim Bankett in Nienburg ist ein Symbol dafür, wie der Aufsteiger und Karrierist Erik Jönsson nach und nach dazu verlockt worden ist, sich in die bestehende Ordnung einzufügen.
Das Jahr 1650 brachte das Ende von Eriks Dienst als Kondukteur der Königin in Demmin. Zur gleichen Zeit, als die politische Krise in Schweden auf ihren Höhepunkt zusteuerte, traf sich eine Anzahl hoher schwedischer Potentaten auf Schloss Bremervörde – einem kolossalen, festungsähnlichen Bau in Nordwestdeutschland, der unter anderem mehrere große Gartenanlagen, eine Menagerie sowie einen eigenen Hafen für Flussboote hatte. Hier befanden sich zu diesem Zeitpunkt der neue Besitzer des Schlosses, Carl Gustav Wrangel, sowie Karl Gustav, Eriks alter Hausherr Rehnskiöld und sein neuer Chef Mardefelt. Rehnskiöld war zum Kammerpräsidenten in Pommern ernannt worden, ein Schritt nach oben auf der Karriereleiter, der ohne Zweifel dadurch erleichtert wurde, dass sein Patron Wrangel seit 1648 der neuen schwedischen Provinz als Generalgouverneur vorstand. Auch Erik war mit dem großen Gefolge des Pfalzgrafen angekommen.
Zu diesem Zeitpunkt war der größte Teil der fünf Millionen Reichstaler, die Schweden im Westfälischen Frieden zuerkannt worden waren, nicht nur ausbezahlt und eingesammelt, sondern überdies auch bereits ausgegeben worden. Viele Deutsche waren entsetzt, als sie die Höhe der Summe erfuhren, aber ihre Friedenssehnsucht war größer als ihr Entsetzen, und mit bemerkenswerter Schnelligkeit war es ihnen gelungen, das Geld zusammenzukratzen – unter anderem mit Hilfe von Krediten bei verschiedenen deutschen und schweizerischen Bankiers. Lediglich rund 150 000 Reichstaler standen noch offen. Sowohl Karl Gustav als auch Rehnskiölds Verwandter Johan Adler Salvius hatten Assignationen – Anweisungen – über 97 000 Reichstaler, die von den Kreisen am Oberrhein und in Schwaben zu erlegen waren. Diese Schulden sollten von dem schwedischen Residenten in Frankfurt, Georg von Snoilsky, einem Deutschen in schwedischem Dienst, eingetrieben werden, doch man hielt es für sinnvoll, ihm jemanden zur Unterstützung bei dieser heiklen Inkassoarbeit zur Seite zu stellen. Dieser Jemand sollte Erik Jönsson sein. Mardefelt war einverstanden, dass Erik zum schwedischen Agenten gemacht wurde, woraufhin Rehnskiöld Erik die Assignationen, einen Reisepass und Instruktionen in die Hand drückte und ihn auf den Weg nach Frankfurt am Main schickte.
Die Tätigkeit selbst war alles andere als ehrenvoll und auch nicht besonders angenehm. In einem vom Krieg verwüsteten Deutschland sollte er als Geldeintreiber für ein paar hohe schwedische Koryphäen tätig sein. Es war eine Arbeit, die weder mit seinen militärischen Interessen noch seinen künstlerischen Ambitionen im Einklang stand, noch gab ihm die Aufgabe als Agent größere Möglichkeiten, seine Reiseträume zu verwirklichen. Eine eigentliche Wahl hatte er nicht. Er war Rehnskiölds und Mardefelts Klient. Als solcher musste er tun, was sie wünschten, und sich außerdem glücklich schätzen, nicht zu einer weiteren Elendsfigur unter all den anderen
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