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Verwüstung

Verwüstung

Titel: Verwüstung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. J. MacGregor
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gewachsener, schlanker Schwarzer mit dicht gelocktem, drahtigen Haar, das beinahe aussah wie ein Topfschwamm und an den Rändern grau wurde. Er trug eine psychedelische Surfershorts und ein leuchtend rotes T-Shirt mit der Aufschrift Sunset Performer in Knallgelb auf der Brust.
    »Ace. Ich dachte, du stehst nie vor zwölf Uhr auf.«
    »Für dich schon, meine Liebe.« Er schlang seine Arme um Mira und begrüßte sie, als hätte er sie seit Jahren nicht gesehen, obwohl er erst letzte Woche bei einer Lesung gewesen war. »Ich habe dich gesehen. Ich hoffe, es ist okay, dass ich reingekommen bin.«
    »Du immer, Ace. Was ist denn los?« Sie berührte seinen Ellbogen. »Komm mit, komm mit mir mit. Ich mache Inventur.«
    Er ging nicht, er hopste neben ihr her, sein schlaksiger Körper von gummiartiger Lockerheit. Seine Sandalen klatschten an seine Fersen. »Wird sie uns erwischen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was machst du dann hier?«
    Eine gute Frage. »Angst, Paranoia, vielleicht wird sie uns erwischen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Was machst du hier?«
    »Luke glaubt, der Sturm wird schrecklich und will weg von hier. Ich habe ihm gesagt, auf keinen Fall gehe ich auf die Straße da draußen. Wir haben einen Kompromiss geschlossen und gesagt, dass wir dich fragen.«
    Luke war Aces fester Partner. Jeden Abend, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, gesellten sich Ace und Luke zu Dutzenden anderer Performance-Künstler am Anleger von Tango Key und unterhielten Touristen, Einwohner und überhaupt alle, die vorbeikamen – Ace als Entfesselungskünstler und Luke als Hochseilartist. Sie hatten vor zwanzig Jahren am Anleger von Key West damit angefangen und waren vor sieben Jahren zum Anleger in Tango gewechselt, als sie sich einen Bungalow in den Hügeln der Insel gekauft hatten, am Rande des Naturschutzgebietes.
    »Ich kann dir nicht sagen, was ihr tun sollt, Ace. Aber im Moment verlässt sowieso niemand die Insel. Die Brücke ist gesperrt.« Sie berichtete ihm von dem Gefängnisausbruch. »Und ehrlich gesagt, glaube ich, es wird ein Albtraum auf den Straßen werden, wenn Tausende von Menschen nach Norden fahren und auf weitere Tausende aus Dade und Broward County stoßen.«
    »Aha, genau wie ich es ihm gesagt habe. Wir haben sturmsichere Läden, Essen und Ausrüstung, ein Funkgerät, einen Generator, und unser Haus wird ganz sicher nicht davonschwimmen wie Noahs Arche. Wir liegen fünfzehn Meter über dem Meeresspiegel.«
    »Dann solltet ihr bleiben.« Mira erreichte die metaphysische Abteilung und begann, Bücher aus den unteren Regalen zu ziehen und auf dem Boden zu stapeln, um sie später in Kisten zu packen.
    »Ist das deine hellseherische Meinung? Kann ich das Luke sagen?«
    »Das ist meine, äh, ganz normale Meinung.«
    Ace streckte ihr seine langen Arme entgegen, die Handflächen nach oben gereckt, als wollte er ihr etwas abnehmen. »Lies mich, Mira, ich muss Luke deine hellseherische Meinung sagen. Ich brauche keine ganze Lesung, nur deine Meinung in dieser Sache.«
    Miras Blick wandte sich zögernd Ace schlanken, schönen Händen zu. Im Moment wollte sie niemanden lesen. Schlimm genug, dass sie einen Tatort lesen musste, wenn Dillard und Sheppard kamen.
    »Ich …«
    »Bitte?!«
    Sein flehender Blick sorgte für ein zögerndes Nicken Miras. Sie hob ihre kleineren, weißeren Hände an seine schwieligen Handflächen und spürte ein Kribbeln, das beinahe elektrisch erschien. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, öffneten sich zwei Wege in ihrem Geist. Am Rand des einen fanden sich knorrige Bäume, die dunkle, unheimliche Tunnel aus nassen Blättern und Zweigen bildeten, und tief in einen dicht gewachsenen schwarzen Wald führten. Sie wusste nicht, ob das Bild eine Metapher oder eine tatsächliche Szene darstellte. Der andere Weg führte über eine Brücke, und ihr wurde klar, dass dies der Weg der Evakuierung war.
    Mira konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf die Brücke, überquerte sie und sah bei Kilometerstein 65 eine Wand aus Wasser aufschlagen, am Anfang der Seven-Mile-Bridge. Die Welle begrub alles unter sich – Strand, Steine, Büsche und Bäume, Autos und Menschen. Im letzten Augenblick, bevor das geschah, löste sie ihre Hände von Aces, sie hörte Schreie und Kreischen. Die Todesschreie von Hunderten, die hinweggespült wurden.
    »Wenn ihr nicht jetzt sofort die Insel verlassen könnt, dann bleibt.«
    Als sie die Augen wieder öffnete, hatte Aces Gesicht sich entsetzt verkrampft. »Wir sterben«, hauchte er.

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