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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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trocknete sich die Hände ab. „Willst du nicht doch noch ein Glas Wein mit mir trinken?“
    „Na gut, eines noch. Denk daran, ich muss noch Auto fahren.“
    Sie gingen wieder ins Wohnzimmer und Harald öffnete die Weinflasche. Anschließend holte er aus der Küche noch zwei neue Gläser. Als er wieder ins Wohnzimmer trat, stand Angelika wieder vor seinem Regal. „ Stiller . Ein interessantes Thema, das Frisch da bearbeitet hat.“ Sie blätterte das Buch durch. „Wie ich sehe, streichst du dir auch Sätze an.“
    Er trat hinter sie und lugte über ihre Schulter. „Du etwa auch?“
    Sie lachte und stellte das Buch wieder an seinen Platz. „Meine Bücher haben in sich noch ein Buch, wenn ich mit dem Lesen durch bin. Ich kann sie deshalb nie verleihen. Sie zog Homo Faber aus dem Regal. „Das war mein erstes Buch von ihm.“ Sie schlug die erste Seite auf. „Ich habe sogar die gleiche Auflage.“
    „Ich verleihe meine Bücher sowieso nicht mehr. Schlechte Erfahrungen. Wenn du sie nicht zurückbekommst, ist es, als hättest du einen guten Freund verloren.“
    Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. „In gewisser Weise stimmt das. Aber man muss Dinge auch loslassen können.“ Sie stellte das Buch wieder ins Regal. Plötzlich lachte sie. „Asterix.“ Sie wies auf Obelix dicken Bauch auf dem obersten Heft und imitierte eine männliche Stimme. „Ich bin nicht dick. Ich bin nur dick angezogen.“ Sie nahm das Heft und blätterte es durch. „Hier schau. Asterix bestellt zwei Wildschweine für sie beide und was sagt der dicke Obelix? Sie stellte wieder die Stimme tiefer. „Für mich auch zwei.“ Sie drehte sich lachend zu ihm um. „Wenn du wüsstest, wie ich sie verschlungen habe. Ich konnte die Hefte fast auswendig.“ Als sie sein Gesicht sah, wurde sie ernst. Ein kurzer Blick auf seinen Mund, und schon wandte sie sich wieder zum Regal und legte das Heft auf den Stapel zurück. „Wir haben mal in der Schule im Unterricht ein Heft auf lateinisch gelesen. Das war doch wesentlich interessanter als Cäsar.“
    „Kann ich mir gut vorstellen. Aber so weit bin ich gar nicht erst gekommen. Ich bin ja vorher abgegangen.“ Sie gingen wieder zu den Sesseln und setzten sich. Harald goss den Wein ein.
    „Für mich hört sich das nach gewaltigem Druck an.“
    „War es ja auch. Der Alte hat mich immer getriezt. Ständig saß er mir im Genick. Ich hatte keine Luft mehr zum Atmen. Das einzig Gute, was ich von ihm habe, ist meine Liebe zur Musik. Er war ein großer Musikliebhaber und selbst sehr musikalisch. Wenn er eine Sinfonie einige Male gehört hatte, konnte er sie schon bald mitsummen und dirigieren.“ Er reichte ihr ein Glas.“
    „Wie war er?“
    „Widersprüchlich! Ich habe nie einen Menschen getroffen, der so widersprüchlich war. Na ja, vielleicht mit Ausnahme von mir.“ Er sah seinen Vater vor sich. „Er war sehr gutaussehend. Die Frauen waren verrückt nach ihm. Er war gebildet, autodidaktisch, und darauf war er sehr stolz. Er hielt jedem Vorträge, ob er sie hören wollte oder nicht. Geschichte, Politik, Kultur. Schlips und Kragen, akkurater Haarschnitt. Wie gesagt, sehr musikalisch, belesen, konnte selber gut dichten und schreiben, mühelos Vorträge vor vielen Leuten halten. Ach, und wie gut er zu seinen jungen Untergebenen war, wie verständnisvoll. Die jungen Herren konnten über alles mit ihm reden.“ Er stieß einen verächtlichen Laut aus. „Nur zu Hause, da schlug er sein kleines Mädchen grün und blau, und wenn er getrunken hatte, dann zerrte er uns nachts um halb vier alle aus den Betten und hielt Gericht über uns.“ Er hörte selber, wie verbittert seine Stimme klang. „Das Konzert, an das ich neulich denken musste, als wir die Carmina Burana hörten, hat den letzten Ausschlag für meine Flucht gegeben. Nach jenem Konzert hatte der Alte Clärchen wieder so schrecklich verprügelt, weil sie in der Öffentlichkeit geweint hatte. Man muss doch schließlich gut dastehen, nicht wahr? Und was sollen bloß die Leute denken, wenn das Mädchen einer so perfekten Familie weint. Nachher kommt noch jemand auf die Idee, dass es hinter der ach so perfekten Fassade gar nicht so vollkommen aussieht. Ich bin dazwischen und habe ihn am Kragen gepackt. Ich habe gedroht, ihn fertig zu machen, wenn er Clärchen noch einmal anrührt. Dann bin ich abgehauen. Als ich später in der Nacht nach Hause kam, hatte er die Kette vorgelegt und wollte mich nicht reinlassen. Ja, so war er, der Herr Wiebke!“ Er sah

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