Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
Vom Netzwerk:
Herbert reichte Angelika die Hand. „Das wollen wir doch mal nachholen.“ Sie erhob sich und gemeinsam verließen sie das Wohnzimmer. „Also ehrlich gesagt“, sagte Katja, „habe ich zuerst einen Schreck bekommen, als ich die Gegend und das Haus gesehen habe, aber deine Wohnung ist wirklich schön, gut geschnitten und hell. Ich würde mir vielleicht nur mehr Bilder an die Wand hängen.“ Als sie merkte, dass er mit seinen Gedanken woanders war, stupste sie ihn an. „Wie war eure Verabredung?“
    „Ganz okay.“
    „Hast du...? Sie musste aufhören, denn Herbert und Angelika kamen wieder herein.
    Herbert lobte die Wohnung. „Asketisch, aber gut. Ich kannte solche Blöcke auch schon von meiner Jugend. Außen pfui, innen hui, sozusagen.“ Er begann, einiges über Architektur zu erzählen, doch Harald war mit seinen Gedanken woanders. Die Unterhaltung der anderen drei floss an ihm vorbei. Ab und zu warf er eine Bemerkung in die Runde oder antwortete, wenn er etwas gefragt wurde, aber man merkte ihm an, dass er nicht hundertprozentig anwesend war. Plötzlich sprang er auf. „Ich habe das Essen vergessen.“ Er ging in die Küche und kam mit den vorbereiteten Tellern wieder. „Entschuldigt, ich war mit meinen Gedanken nicht bei der Sache.“
    Herbert lachte. „Offensichtlich.“ Er schaute auf den Tisch. „Sieht aber gut aus. Griechisch inspiriert, würde ich sagen.“
    Harald ging wieder in die Küche, um noch Teller und Besteck zu holen. Als er wiederkehrte, sagte er. „Tut mir leid, ich habe vergessen, Servietten zu kaufen.“
    „Ist doch kein Problem, wir nehmen Taschentücher“, sagte Katja lächelnd.
    Als er diese geholt hatte und sich wieder setzte, sprachen die anderen gerade über Literatur. Katja, die kaum las, äußerte sich bewundernd über seine vielen Bücher. „Und das noch, obwohl du so wenig Geld hast. Das muss ja eine mächtige Leidenschaft von dir sein.“ Harald zuckte mit den Schultern. „Sie waren in meinem Leben bisher die zuverlässigsten Gefährten. Du weißt, woran du bei ihnen bist, und sie lassen dich niemals im Stich.“ Als die anderen schwiegen, wurde ihm unbehaglich. „Ich habe sie fast alle vom Flohmarkt“, schob er hinterher und sah Katja an. Sie nickte, erwiderte aber nichts.
    „Schmeckt euch das Essen?“
    „Klar“, sagte Herbert. Die anderen nickten kauend. Herbert fragte. „Ich weiß ja, dass du ein Eigenbrötler bist, aber hast du überhaupt gar keine Familie?“ Er sah sich um. „Nirgends stehen oder hängen Fotos.“
    „Meine Eltern leben in Darmstadt.“
    „Hast du noch Geschwister?“ fragte Katja.
    „Eine Schwester.“
    „Und?“ Herbert schmiss die Augen gen Himmel. „Ja, liebe Zeit, dem Jungen muss man doch wirklich jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen.“ Er beugte sich zu Harald. „Was macht sie? Wie alt ist sie? Ist sie so eine Rumtreiberin wie du? Sieht sie dir ähnlich?“
    Haralds Stimme klang gepresst: „Rotbraune Haare, dunkelbraune Augen, Locken wie ich, drei Jahre nach mir geboren, sehr musikalisch, feinnervig, hochsensibel.“
    „Und was macht sie?“
    „Sie ist tot.“
    Erschrecken zeichnete sich auf Herberts Gesicht ab. „Tut mir leid.“
    Harald zuckte mit den Schultern. „Das kannst du ja nicht wissen. Sie lebt schon seit zwanzig Jahren nicht mehr.“ Er sah Angelika an.
    „Die Carmina Burana“, sagte sie leise.
    Er nickte.
    „Was?“ fragte Katja.
    Doch Harald schüttelte den Kopf. „Nicht so wichtig.“ Katja stellte ihr Glas ab. „Dann war sie ja erst... Wie alt bist du jetzt?“
    „Sie wäre letzte Woche fünfunddreißig geworden.“
    „Dann ist sie schon mit fünfzehn gestorben. War sie krank?“ fragte Katja mitfühlend.
    Er beugte sich nach vorne, stützte sich mit den Ellbogen auf seine Knie und starrte in sein Weinglas. „Sie hat sich umgebracht.“
    Daraufhin herrschte Schweigen. Mit feuchten Augen drehte er das Glas in seinen Händen und versuchte, sich auf das Lichtspiel in seinem Wein zu konzentrieren. Irgendwann sagte Herbert. „Traurig, das zu hören. So ein junges Leben. Das war sicher nicht leicht für dich und deine Eltern.“
    „Meine Eltern?“ Haralds Ton wurde zynisch. „Ich glaube, dieses Thema lassen wir besser.“ Er trank sein Glas aus und erhob sich. „Ich hole mal den Nachschub.“ In der Küche stellte er sich kurz an das geöffnete Fenster. Die kalte Luft würde hoffentlich seinen Kopf wieder klarer machen. Er musste aufpassen. Die Besuche bei Lisa und die Gespräche mit ihr

Weitere Kostenlose Bücher