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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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ein großer Verehrer Beethovens gewesen, den er Luigi genannt hatte. Die Sinfonie versetzte ihn in die Zeit seiner Jugend zurück. Er war allein zu Hause und dachte wie so oft über Selbstmord nach. In ihm war völlige Dunkelheit und Verzweiflung. Er hatte Beethovens fünfte Sinfonie aufgelegt. Trotz der Dunkelheit verspürte er die Kraft, die die Musik ihm schenkte. Das Leben lohnt sich doch, und sei es nur, um diese Musik hören zu können, dachte er. Dies war ein solches Schlüsselerlebnis gewesen, dass er auch heute immer Musik hörte, wenn sich wieder die Dunkelheit in ihm ausbreitete . Auch Clärchen hatte diese Sinfonie besonders geliebt. Sie hatte ihm von Erlebnissen erzählt, die sie beim Hören der Musik in Gedanken gehabt hatte. Einmal hatte sie das Orchester vor sich gesehen, und zwar alle Musiker als grinsende Skelette im dunklen Anzug. Ein anderes Mal hatte sie von einer Berghütte erzählt, die in einer wunderschönen Landschaft stand. In ihr habe ein kranker Mann gelegen, und der Tod in Form eines Skeletts wäre an dem Krankenbett erschienen und hätte versucht, den Kranken niederzuringen. Das Skelett sei überhaupt nicht feindselig gewesen. Sie hätte gemerkt, dass der Sensenmann das einfach als seine Aufgabe angesehen hätte. Beim Höhepunkt, ziemlich am Ende des ersten Satzes, hätte der Tod gewonnen und sich dann ruhig neben das Krankenbett gesetzt. Der Beginn des zweiten Satzes hätte für sie den Frieden und die Ruhe des toten Mannes widergespiegelt. Als der zweite Satz ebenfalls ins Dramatische mündete, hätte sich der kranke Mann doch noch einmal aufgebäumt, bis er dann vom Tod endgültig besiegt worden sei. Sie hätte die sonnige Landschaft vor sich gesehen und dabei unendliche Harmonie in sich verspürt.
    Harald liefen die Tränen herunter, als er daran dachte. Hatte sie schon damals ihren Selbstmord im Kopf gehabt?
    *
    Angelikas Stimme klang warm, als sie sich am Telefon meldete.
    „Ich bin es, Harald. Hat Katja Dich schon erreicht?“
    „Hallo Harald. Nein, aber vielleicht hat sie es schon versucht. Ich hatte heute sehr viele Telefonate.“
    „Sie hat mir erzählt, dass Ihr zwei heute Abend in eine Bar gehen wollt. Sie hat aber eine schlimme Erkältung und wollte absagen.“
    „Ach je, die Arme. Hat sie Fieber?“
    „Erhöhte Temperatur.“
    „Tut mir leid für sie. Ich werde sie gleich mal anrufen.“ Er räusperte sich. „Sie hat mir vorgeschlagen, dass wir beide zusammen dorthin gehen könnten.“
    Es entstand eine kleine Pause, bis sie schließlich sagte: „Weißt du, wo es ist?“
    „Ja, Katja hat es mir schon beschrieben.“
    „Dann bis um Neun.“
    Als Harald um viertel vor Neun vor der Bar stand, war er froh, dass Katja ihn vorgewarnt hatte. Sah nach einem edleren Schuppen aus. Er hatte sich eine Hose, zwei Hemden und ein leichtes Jackett gekauft. Die Hose war aus einem dünnen Wollstoff und trug sich sehr angenehm; über Hemd und Jackett hatte er seinen Anorak gezogen, da es schon ganz schön kalt war. Nach wenigen Minuten sah er Angelika auf sich zukommen und ging ihr entgegen. Sie begrüßte ihn lächelnd und nahm den Arm, den er ihr reichte. Als sie das Lokal betraten, kam ihnen ein Herr entgegen. „Guten Abend die Herrschaften. Ihre Mäntel können sie mir geben.“ Harald half Angelika aus dem Mantel. Sie trug ein blutrotes, hochgeschlossenes Kleid, das einfach und schmucklos war, aber durch den seidigen, fließenden Stoff höchst elegant wirkte. „Wow“, entfuhr es Harald, woraufhin sie ihn anlächelte. Er übergab ihren Mantel und seinen Anorak dem Herrn, der sich knapp verbeugte. Anschließend gingen sie durch zwei dicke, weinrote Vorhänge und befanden sich in einem Lokal mit einer Empore für die Musiker, einer kleinen Tanzfläche, einer Bar und vielen kleinen Tischen. Sie wurden an einen runden Tisch in einer Nische geführt, auf dem schon zwei Weinkarten lagen. Der Ober entfernte das Schild, auf dem der Name Rembrandt stand. Als er gegangen war, sagte Angelika: „Arme Katja. Sie hatte sich so auf den Abend gefreut, und nun liegt sie stattdessen mit einer Wärmflasche im Bett. Aber sie wünscht uns viel Spaß, und ich soll dich noch einmal herzlich grüßen.“ Sie musterte ihn. „Neu eingekleidet?“
    Als er nickte, sagte sie: „Du siehst sehr gut aus.“
    „Und du bist wunderschön!“
    „Danke!“ Sie sah hoch, als der Kellner an ihren Tisch trat und nach ihren Wünschen fragte. Sie hatten noch gar nicht die Weinkarte studiert, und Angelika fragte

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