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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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sie nicht an.
    „Was geschah dann?“ Ihre Stimme klang mitfühlend. „Ich habe die Tür eingetreten. Am nächsten Tag bin ich abgehauen und kurz danach ins Ausland.“ Er seufzte. „Ich weiß gar nicht, warum ich dir das erzähle. Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen.“
    „Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast.“
    Er sah hoch. „Warum?“
    „Weil es mich interessiert, und weil man einen Menschen besser verstehen kann, wenn man seine Geschichte kennt. Ich hatte mich schon gewundert, warum du beim ersten Mal meine Frage nach Geschwistern verneint hast und dann mehrere Male von uns gesprochen hast. Jetzt, wo ich die Umstände kenne, kann ich nachvollziehen, dass du mich beim ersten Mal angeschwindelt hast. Das war eine Ungereimtheit, die mich beschäftigt hat.“
    „War das so wichtig für dich?“
    „Ich möchte, dass mein Partner ehrlich ist.“
    Er nickte. „Ich spreche nicht gerne darüber, und du hast mir die Frage schon in den ersten Tagen gestellt. Da wollte ich nicht gleich so eine Geschichte erzählen.“
    „Verständlich.“
    Harald unterbrach das Schweigen. „Wie war das Verhältnis zu deiner Mutter?“
    „Als junges Mädchen habe ich ihr das Leben sehr schwer gemacht.“
    „Gilt das nicht für alle jungen Mädchen?“
    „Ich habe ihr vorgeworfen, dass ich keinen Vater hätte, und das muss sehr schwer für sie gewesen sein. Schließlich hat sie meinen Vater ja geliebt, und dass er sie verlassen hat, war sicher sehr schmerzhaft für sie. Und dann komme ich Göre und werfe ihr das auch noch vor.“
    Harald schwieg.
    Nach einer Weile fragte Angelika. „Was denkst du?“
    „Ich versuche, dich mir als junges Mädchen vorzustellen, das ihrer Mutter so etwas vorwirft. Fällt mir schwer.“
    „Ich habe ihr die Schuld gegeben. So, als ob sie verantwortlich dafür sei, dass mein Vater sie verlassen hat, und nicht, als sei er derjenige, der sich einfach vor der Verantwortung der Vaterschaft hatte drücken wollen.“
    „War sicher nicht einfach für sie. Aber für dich sicher genauso wenig. Wie hat sie denn reagiert, als du Herbert als Vater sozusagen adoptiert hast.“
    „Oh, das habe ich gehütet wie einen Schatz. Ich hatte die Angst, dass ich ihn auch verlieren würde, wenn sie von ihm wüsste.“
    „So sehr hat er dir gefallen?“
    „Ja.“
    „Wie hat er denn darauf reagiert?“
    „Zuerst konnte er wenig damit anfangen.“
    Harald grinste. „Kann ich mir gut vorstellen. Ich war auch nicht gerade begeistert, als sich Lisa plötzlich so an mich gehängt hat.“
    „Und inzwischen verstehst du dich so gut mit ihr.“
    „Sie erinnert mich an Clärchen.“ Er war wieder ernst geworden. „Sie sprach von dem gleichen Abgrund, wie Lisa ihn oft erwähnt, und dass sie sich immer wie auf einem Drahtseil fühle, von dem sie jederzeit abstürzen könne.“
    Sie nickte. „Kinder, die mißhandelt werden, verfügen nicht über ein stabiles Ich-Gefühl. Außerdem entwickeln sie das Gefühl, nichts wert zu sein und es sogar zu verdienen, verprügelt zu werden. Da sie meist die Schmerzen verdrängen, entwickeln sie sich zu Erwachsenen, die sich selbst entfremdet sind. Sie wissen nicht, wer sie sind und was sie mit ihrem Leben anfangen wollen.“
    Er nickte.
    Teilnahmsvoll fragte sie. „Wie ist es passiert?“
    „Sie hat sich vor einen Zug geworfen.“
    Entsetzt sah Angelika ihn an. „Das tut mir leid, Harald. Es muß furchtbar für Dich gewesen sein.“
    „Das war es.“ Er räusperte sich. „Wäre es dir recht, wenn wir das Thema wechseln würden? Ich glaube, für heute habe ich genug von meiner Vergangenheit.“
    „Natürlich.“ Sie sah auf die Uhr. „Es ist auch schon spät. Ich werde jetzt gehen. Ich bin morgen zu einer Hochzeit eingeladen.“
    Er begleitete sie in den Flur, half ihr in den Mantel und fragte. „Sehen wir uns wieder?“
    Sie überlegte und sagte dann. „Lass uns Freitag telefonieren.“
    Erleichtert nickte er.
    „Dann mach es gut, Harald.“
    Als sie gegangen war, fühlte er sich plötzlich einsam. Er war so aufgewühlt, dass er beschloss, Musik zu hören. Unentschlossen stand er vor dem Plattenspieler. Dann packte er die Platte mit der Carmina Burana in die Hülle zurück und legte Beethovens fünfte Sinfonie auf. Er setzte sich nun in den schwarzen Sessel, glaubte noch, Angelikas Wärme zu fühlen und schloss die Augen. Da in seinem Elternhaus so viel Musik gehört worden war, verbanden sich viele Erinnerungen mit bestimmten Musikstücken. Sein Vater war

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