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verwundet (German Edition)

verwundet (German Edition)

Titel: verwundet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kühn
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die Stirn, erwiderte aber nichts. Auch die anderen schwiegen. Harald sah Angelika an, deren Blick forschend war. Plötzlich hatte er Lust, ihr ins Gesicht zu schlagen. Die anderen begannen, den Tisch abzuräumen und gingen in die Küche. Als Angelika und Harald allein im Wohnzimmer zurückblieben, fragte er: „Schläfst du davor mit ihm oder erst danach?“ Ihre Stimme klang kühl. „Du erwartest darauf doch wohl keine Antwort.“
    „Ich bin vielleicht ein Idiot“, zischte er. „Ich dachte, Ihr wäret Freunde. Stattdessen lässt du die Hüllen für ihn fallen.“
    „Für wen ich welche Hüllen falle lasse und mit wem ich geschlafen habe, geht dich überhaupt nichts an.“ Ihr Ton war scharf.
    „So, so. Er hat also deinen Horizont erweitert, hat dich mit den Werken der Kunst, der Philosophie, überhaupt mit den Geisteswissenschaften bekannt gemacht.“ Seine Stimme wurde zynisch. „Mit was hat er dich denn noch bekannt gemacht? Bist du deshalb so gut im Bett, weil er dir auch das Ficken beigebracht hat?“
    Sie wurde blass. „Du bist vulgär und anmaßend!“ Sie erhob sich. „Im Übrigen hast du überhaupt kein Recht, meine Beziehung zu Herbert in den Dreck zu ziehen. Er hat mir in meinem Leben mehr gegeben als irgendein anderer Mensch, und ich dulde nicht, dass du so über ihn sprichst.“
    „Ach ja? Schläfst du deshalb nicht mehr mit mir, weil du wieder in seine väterlichen Arme gesunken bist?“
    In diesem Moment kam Kai ins Zimmer. „Herbert lässt fragen...“ Er sah von einem zum anderen.
    Angelika sagte zu ihm. „Kai, würdest du uns bitte einen Augenblick alleine lassen?“
    Kai verließ das Wohnzimmer.
    Angelika wandte sich wieder Harald zu und sagte. „Ich denke, Harald, es ist das Beste, wenn wir die Sache zwischen uns beenden.“
    „Ist er besser im Bett als ich? Ja?“
    „Hör verdammt noch mal auf, alles auf Sex zu reduzieren! Werde endlich erwachsen!“
    „Erwachsen?“
    „Ja, erwachsen. Du merkst nicht einmal, wie du immer alles zerstörst, dir selbst alles kaputt machst und...“
    Er sprang hoch, wobei er seinen Stuhl umstieß. „Aha. Da kommt mal wieder die Analytikerin durch.“
    „Hör auf, mir ständig meinen Beruf vorzuwerfen!“
    „Wieso? Du willst mich doch schon die ganze Zeit therapieren.“
    „Ich könnte dich gar nicht therapieren, Harald, denn damit wäre ich aus emotionalen Gründen hoffnungslos überfordert.“
    „Du kannst ja Herbert therapieren.“
    Sie schüttelte den Kopf, und ihre Stimme klang resigniert. „Es hat keinen Zweck, Harald. Ich habe gedacht, wenn ich dir, wenn ich uns Zeit gebe, könnte es funktionieren. Ich habe mich anscheinend getäuscht. Wir drehen uns nur im Kreis.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und ging aus dem Zimmer.
    „Dann geh doch!“ schrie er ihr hinterher. Am liebsten hätte er den ganzen Tisch umgeschmissen. Er ging in den Flur, riss seine Jacke von der Garderobe und verließ die Wohnung.
    *
    Es war Sonntag. Lisa befand sich allein im Zimmer. Sie hatte die Kassette mit Mozarts Jupitersinfonie eingelegt und sich die Kopfhörer aufgesetzt. So hörte sie am liebsten Musik. Keine störenden Geräusche konnten sich zwischen sie und die Musik schieben. Sie schloss die Augen, wusste, die Bilder würden nicht lange auf sich warten lassen, und da waren sie auch schon. Zuerst sah sie eine Landschaft mit Bergen und Seen, Wäldern und weiten Wiesen, über die eine weiße Feder flog, die vom Wind getrieben wurde. Je nach dem Tempo der Musik flog sie schneller oder langsamer, schwebte sie mal auf, mal ab, und mit einem Mal war sie selbst die Feder, die von der Luft getragen wurde. Sie flog über die Landschaft, wurde vom Wind mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung geweht, schlug Saltos, wirbelte, gleich einem Laubblatt emporgehoben, hin und her, sank hernieder, um gleich darauf wieder nach oben getragen zu werden. Sie fühlte ihren Körper nicht mehr, war ganz Feder, ganz Leichtigkeit, war Schweben, war Freude, war Lebendigkeit. Es gab keinerlei Begrenzungen mehr. Alles war frei, leicht und mühelos. Sie hörte nicht mehr die Musik, sie war die Musik, war die Landschaft, war die Welt, war das Universum, war Baum, Borke, Wolke, war Geige, Orchester und Note, war Trauer und Leid, war Freude und Schmerz. Alles war eins, war verbunden, war untrennbar miteinander verknüpft.
    Mit dem Ende der Kassette war sie wieder in ihrem Körper angelangt, öffnete die Augen und erblickte das Krankenzimmer. Kurz entschlossen nahm sie

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