verwundet (German Edition)
dir wehgetan habe. Mehr, als dir das zu sagen, kann ich leider nicht tun.“ Der Gong erklang ein zweites Mal. „Kommt Ihr“, rief Katja und winkte ihnen. Harald zeigte Angelika mit einer Handbewegung an, dass er ihr den Vortritt lassen wolle, und folgte ihren sich wiegenden Hüften in dem roten Kleid, das die Erinnerungen zurückrief. Die Qual ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Er hatte keine Aussicht, diesem Schmerz je zu entkommen.
Als Kai ihnen nach der Aufführung im Foyer entgegentrat, beglückwünschte ihn zuerst Angelika. Sie umarmte ihn, und er hob sie hoch und drehte sich dann mit ihr im Kreis. „Ha! Das war ein Spaß. Ich glaube, die Schauspielerei liegt mir“, sagte er mit leuchtenden Augen. Dann setzte er seine Mutter wieder ab und stellte ihnen Sabrina vor. Alle gratulierten den beiden, alle redeten durcheinander. Es kamen noch andere Leute heran, und die Stimmung war ausgelassen. Harald beobachtete das Treiben eine Weile, bevor er sich schließlich an die Bar setzte und sich ein Mineralwasser bestellte. Er war ein wenig durcheinander. Blaue und graue Augen, weißblonde und dunkle Haare vermischten sich, und er wusste nicht mehr, zu wem er sich nun mehr hingezogen fühlte. Er hatte erwartet, die Begegnung mit Angelika leichter zu überstehen, und nun merkte er, wie sich Dunkelheit in ihm breitmachte. Plötzlich sah er Kai neben sich auftauchen. „Na, Puck?“ grinste Harald. „Du bist wirklich gut!“
„Danke! Warum kommst du nicht zu uns? Ist es wegen Mam?“
„Es war gerade so viel los um Euch herum, und da habe ich mich lieber verdrückt. Bin den Trubel nicht mehr gewöhnt. Möchtest du wirklich dein Studium schmeißen und dich ganz der Schauspielerei widmen?“
Kai schüttelte den Kopf. „Nein! Ich spiele gerne, aber mein Studium werde ich schon beenden. Kann mir nur nutzen, denn wer weiß, was später noch so kommt. Außerdem ist es auch interessant.“
„Finde ich gut. Ich bedauere sehr, dass ich kein Studium habe.“
„Mam hat mir erzählt, dass du nicht studiert hättest, weil du eine ziemlich traumatische Kindheit und Jugend hinter dir hast.“
Harald nickte nur.
Als Kai merkte, dass Harald nichts erzählen würde, sagte er: „Ich hätte mich gefreut, wenn du und Mam …“ Es war das erste Mal, dass er verlegen war. „Ich meine, es wäre schön gewesen, wenn Ihr...“
„Hinterher ist man immer schlauer, nur ist es dann meistens zu spät.“
Über Kais Stirn flog ein Schatten. „Ja, ist wohl so.“ Nach einem kurzen Schweigen sagte er: „Ich wollte dich fragen, ob ich dich vielleicht mal in Leiferde besuchen darf? Mam hat mir so davon vorgeschwärmt.“ Überrascht sah Harald nach Angelika. Als ihre Augen sich trafen, fragte er sich, ob sie ihn beobachtete, weil sie glaubte, dass er einen schlechten Einfluss auf Kai haben könnte. Schnell wandte er sich wieder Kai zu. „Natürlich. Jederzeit. Ich würde dich am Bahnhof abholen. Du müsstest dir allerdings einen Schlafsack mitbringen.“
„Kein Problem“, strahlte Kai ihn an. „Finde ich prima.“ Harald holte ein Kärtchen aus seiner Brieftasche. „Das ist die Nummer des Büros. Du erreichst mich dort. Allerdings musst du es öfter versuchen, da ich viel unterwegs bin.“
„Hast du dort keinen privaten Telefonanschluss?“ Als Harald den Kopf schüttelte, sagte er: „Du lebst recht abgeschieden, oder?“
Harald berührte ihn kurz an der Schulter und lächelte. „Es geht mir gut dort.“
Kai wollte etwas erwidern, als sich zwei Gäste an ihn wandten, um ihm zu gratulieren.
Es waren junge Leute, sie mochten etwa in Kais Alter sein. Harald beobachtete sie. Sie wirkten alle drei frei und ungezwungen. Er dachte an sich selbst, als er in ihrem Alter gewesen war. Seine Schüchternheit hatte er hinter großen Reden versteckt, seine Unfähigkeit, etwas durchzustehen, sei es die Schule oder eine Ausbildung, hatte er mit Prahlerei über großartige Pläne überspielt Er hatte sich über die arbeitende Bevölkerung, die so dumm war, für die Steuern, für den Staat zu arbeiten, lustig gemacht. Jetzt stellte er sein Wasserglas ab und drehte sich auf dem Barhocker um. Er erschrak, weil er plötzlich Angelikas Gesicht vor sich sah. Er fragte sich, seit wann sie hinter ihm gestanden hatte. Sein Blick fiel auf ihren Mund. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass er sie geküsst hatte. Plötzlich verspürte er ein heftiges Verlangen danach. Er fühlte ihren Blick und sah wieder hoch. Als ihre Augen sich begegneten,
Weitere Kostenlose Bücher