verwundet (German Edition)
Wut des Vaters, der ständig auf die Uhr blickte. Wenn sie nicht schrieb, schlug er ihr ins Gesicht und herrschte sie an: „Schreib!“ Sie musste einen Aufsatz verfassen, doch in der furchtgeschwängerten Umgebung gelang es ihr nicht, eine sinnvolle Geschichte zu erfinden. Plötzlich hörte sie den Schlüssel klappern. Sie sah ihre Mutter durch die offene Küchentür, als schon der Vater in den Flur stürmte und die Küchentür von außen schloss Sie begann, zu zittern. Sie hörte ihren Vater schreien: „Wo warst du so lange? Du verdammte Hure!“ Sie hörte es klatschen. Jede Ohrfeige, die ihre Mutter bekam, schmerzte sie. Sie hasste ihren Vater!
Lisa seufzte. Ihre Mutter hatte sich erst zwei Jahre später von ihm getrennt und zwar erst, nachdem Lisa einmal beinahe mit dem Messer auf ihren Vater losgegangen war. Inzwischen war er fast nur noch betrunken gewesen. Als er wieder einmal auf Mara losgegangen war und sie geohrfeigt hatte, war Lisa in die Küche gelaufen und hatte sich das große Fleischermesser gepackt. Dann hatte sie ihren Vater voller Hass angeschrieen: „Rühr sie nie wieder an oder ich bringe dich um!“ Dieser war erst einmal völlig verblüfft gewesen. Noch nie hatte Lisa es gewagt, die Stimme gegen ihn zu erheben. Ungläubig hatte er sie angestarrt, wie sie mit wildem Blick und dem Messer in der erhobenen Hand vor ihm gestanden hatte. Mara hatte entsetzt die Hand an den offenen Mund geschlagen. Ihr Vater war dann in brüllendes Gelächter ausgebrochen und hatte sich amüsiert auf die Schenkel geschlagen. Aber irgendetwas in Lisas Augen hatte ihn dazu gebracht, schlagartig mit dem Lachen aufzuhören. Er hatte sie schweigend angeglotzt, und dann war er gegangen und hatte die Tür laut hinter sich zugeschlagen. Danach hatte er sie beide nie wieder angerührt. Irgendetwas mußte damals bei Mara in Gang gesetzt worden. Nachdem sie gesehen hatte, dass Lisas Drohung ihn dazu gebracht hatte, mit dem Schlagen aufzuhören, hatte sie den Mut aufgebracht, sich von ihm zu trennen. Endlich schien sich alles zum Besseren zu wenden. Ihre Mutter hatte einen Computerkurs gemacht. Dort hatte sie auch Lydia kennengelernt. Von Anfang war an war ihre Mutter von Lydia begeistert gewesen. Sie hatte dann eine Stelle im Büro eines Schuhgeschäftes angenommen. Erst schien alles gut zu laufen, aber mit der Zeit hatte sie angefangen, abends auszugehen. Dann war sie auch immer öfter nachts weggeblieben oder frühmorgens angetrunken mit wildfremden Männern nach Hause gekommen. Sie hatte sich im Büro ständig krank gemeldet und war zum Schluss überhaupt nicht mehr hingegangen. Lisa hatte nie gewusst, wo ihre Mutter sich aufhielt und so hatte sie ebenfalls begonnen, sich herumzutreiben.
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H arald hatte heute sein Vorstellungsgespräch bei Frau Dr. Frankenfeld. Er war unentschlossen gewesen, ob er sich bei der Tierarztpraxis vorstellen sollte oder nicht. Schließlich aber hatte er dort angerufen. Frau Dr. Frankenfeld war selbst am Apparat. Wenn er wolle, könne er heute um halb drei vor der Nachmittagssprechstunde vorbeikommen, alles Weitere könne man dann besprechen. Als er pünktlich zur vereinbarten Zeit vor ihr stand, musste er auf sie herunterschauen. Sie war höchstens einmeterundsechzig, hatte brünettes kurzes Haar, eine Brille und sehr kleine Hände. Er fragte sich, wie sie mit großen Hunden fertig würde. Aber bald stellte er fest, dass sie eine sehr resolute, respekteinflößende Art besaß. Sie fragte ihn nach seiner Vorbildung, und er beschloss, nichts zu beschönigen. Entweder sie nahm ihn so wie er war oder sie ließ es, er hatte keine Lust, sich zu verstellen. So zählte er auf: Abgebrochenes Gymnasium, zwei Jahre im Ausland mit unterschiedlichen Jobs. Mit neunzehn hatte er diverse Lehren angefangen. Beim Metzger war er nur einen Tag geblieben, beim Bau immerhin sechs Wochen, als Fliesenleger hatte er sich drei Monate versucht, und im Buchhandel hatte er es vier Monate ausgehalten. Schließlich hatte er sich zu einer Ausbildung als Tierpfleger entschieden, das erste, was er in seinem Leben konsequent durchgezogen hatte. Dann war er zum Wehrdienst eingezogen worden, den er aber verweigert hatte. Als Zivildienstleistender hatte er in einer Greifvogelstation gearbeitet. Nach dem Zivildienst hatte er sich sein Geld wieder auf verschiedene Arten in Fabriken, als Plakatkleber, Bote, Zeitungsjunge und Verkäufer am Kiosk verdient. Ein paar Jahre hatte er dann auch im Zoo gearbeitet, bis er wegen
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