verwundet (German Edition)
gleich bekommt, was er möchte.“
„Schlafen Sie mit mir und Sie werden sehen, ob ich ein kleiner Junge bin“, bellte Harald.
„Also doch wieder nur das Körperliche!“
„Wieso können Sie nicht einfach akzeptieren, dass ich mich in Sie verliebt habe? Haben Sie so schlechte Erfahrungen gemacht, dass Sie jedem Mann unterstellen, dass er nur mit Ihnen ins Bett will?“
Sie antwortete nicht, was ihn verdross. „Hören Sie Lydia! Mir fällt es nicht schwer, Frauen für eine Nacht aufzureißen. Wenn es mir nur um Sex ginge, würde ich mir tatsächlich eine jüngere Frau suchen. Die sind nämlich sehr viel unkomplizierter, und man muss nicht so viele Worte machen.“
Sie zuckte zusammen. Schon tat es ihm leid. Er verließ die Küche, nahm seinen Anorak von der Garderobe. Als er schon die Wohnungstür geöffnet hatte, zögerte er. Sie war ihm in den Flur gefolgt. Mit gesenktem Kopf sagte er: „Schade, dass Sie mir nicht glauben. Und verzeihen Sie mein Benehmen. Ich werde Sie nicht wieder belästigen.“ Dann zog er die Tür hinter sich zu.
*
Als Lisa um halb zwei nach Hause kam, erwartete sie, Lydia noch wach vorzufinden. Doch die Schlafzimmertür war geschlossen und durchs Schlüsselloch schien kein Licht. Lisa war enttäuscht. Sie schlief schlecht, und auch am ganzen nächsten Tag arbeitete es in ihr. Am Abend betrat sie das Wohnzimmer und sagte: „Ich kann ja eigentlich ausziehen, wenn es dir egal ist, wann das dumme Blag nach Hause kommt.“
„Ich habe dir gesagt, dass ich dich nicht mehr fragen werde, und im Übrigen habe ich dich niemals ein dummes Blag genannt.“
„Nein, dieser Spitzname ist mir von meinem Vater verpasst worden.“
„Aha! Und du bestrafst mich jetzt für das, was deine Eltern dir angetan haben?“
„Was?“ Lisa sah sie entsetzt an.
„Es ist doch so, oder? Was für einen Krieg führst du gegen mich, Lisa? Womit habe ich diese Wut und diesen Hass verdient?“
„Hass? Ich hasse dich nicht, ich will doch nur...“
Lydia sah sie kopfschüttelnd an: „Lisa, ich habe dich bei mir aufgenommen, weil ich dich gern habe und ich mir unser Zusammenleben schön vorgestellt habe. Aber du stößt mich ja immer weg, und ich werde um deine Zuneigung nicht mehr buhlen.“ Ihre Stimme zitterte. Sie drehte sich um und ging aus dem Wohnzimmer.
Lisa eilte ihr ins Schlafzimmer nach. Aber als sie die Tür öffnen wollte, fand sie diese verschlossen. „Lydia, Lydia?“
„Ich möchte jetzt allein sein, Lisa.“
Geknickt stand Lisa vor Lydias Tür. Dann trollte sie sich ins Bett. Zusammengerollt lag sie unter der Decke. Lydia verstand ihre Liebe nicht. Sie verstand sich ja selber nicht. Unruhig warf sie sich hin und her. Dieses verdammte Scheißleben.
Am nächsten Morgen stand Lisa früh auf, obwohl sie völlig erschlagen war, und begleitete Lydia in die Buchhandlung. Sie bemühte sich, besonders zuvorkommend zu sein. Den ganzen Tag ging sie Lydia zur Hand, fragte sie, was sie ihr helfen könne. Als Lydia ins Lager ging, folgte sie ihr. Lydia wollte gerade eine Bücherkiste auspacken, als Lisa hinter sie trat und sie umarmte. Sie hängte sich an sie und zog sie auf die Couch. „Ich hasse dich nicht, das musst du mir glauben. Es tut mir weh, dass du das denkst.“
„Was ist es dann, Lisa?“
Lisa sah sie hilflos an und umarmte sie.
„Sprich doch mit mir Lisa!“
Lisa schüttelte heftig den Kopf. Dann drückte sie Lydia noch fester an sich und küsste sie zärtlich auf den Mund. Jetzt näherten sich Frau Krauss energische Schritte dem Lager. Lydia und Lisa fuhren auseinander, gerade noch rechtzeitig, bevor Frau Kraus den Raum betrat. „Frau Kaufmann, ist die Bestellung für Herrn Schuhmacher schon eingetroffen?“
Lydia erhob sich und strich sich den Rock glatt. „Nein. Der Großhändler hatte das Buch nicht lieferbar. Es musste direkt beim Verlag bestellt werden. Bitte sagen Sie ihm, dass es einige Tage dauern kann.“
„Mach ich.“ Frau Kraus verschwand.
Lydia wandte sich wieder ihrer Bücherkiste zu. Sie wirkte nachdenklich.
Während des ganzen restlichen Tages suchte Lisa ihre Nähe und versuchte, ihr Gesicht zu ergründen. Abends blieb Lisa zu Hause. Als sie hörte, dass Lydia ein Bad nahm, trat sie ins Badezimmer. „Darf ich mich zu dir setzen?“
Lydia wirkte etwas erstaunt, sagte aber nichts. Sie hatte ihr Haar hochgebunden. Jetzt schloss sie die Augen. Lisa setzte sich auf den Rand. Lydia war so nah und doch so unendlich weit weg. Gequält schloss sie die Augen.
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