verwundet (German Edition)
Meinungsverschiedenheiten mit dem Chef gekündigt hatte. Er erzählte dann noch von den letzten drei Jahren beim Naturschutzverein. Die Tierärztin, sie war etwa Anfang Fünfzig, hörte sich alles ruhig an. Dann sagte sie: „Sie haben also mit den verschiedensten Tierarten Erfahrung, aber nicht mit Haustieren?“
Dies musste er bestätigen. Sie überlegte kurz, dann sagte sie: „Wir probieren es einfach. Sind Sie mit einer Probezeit von sechs Wochen einverstanden?“
Als Harald die Praxis verließ, überlegte er, ob er bei Lydia in der Buchhandlung vorbeigehen und sich bedanken sollte, aber er verwarf den Gedanken. Den ganzen restlichen Nachmittag bummelte er unschlüssig in der Gegend herum, ging spazieren, setzte sich ins Café und kämpfte mit seinen widerstreitenden Gefühlen. Schließlich entschied er sich doch, Lydia zu Hause zu besuchen. Am Bahnhof hatte der Blumenhandel noch geöffnet, und er kaufte einen großen bunten Strauß. Mittlerweile war es zwanzig vor neun, er sollte sich sputen, sonst wäre es für einen Überraschungsbesuch zu spät. Um kurz nach neun klingelte er. Er hörte Geräusche in der Wohnung. Als die Tür schließlich aufging, hielt er den Blumenstrauß wie einen Schutzschild vor sich.
Lydia war sichtlich überrascht. „Guten Tag, Herr Wiebke.“ Ihr Haar war feucht, sie hatte anscheinend geduscht. Harald musterte betreten ihr Kleid, das sie sich offenbar nur hastig übergeworfen hatte. Sie schloss gerade die letzten Knöpfe.
„Oh Entschuldigung. Ich komme wohl ungelegen. Ich wollte...“
„Ist schon gut, ich liege ohnehin immer viel zu lange in der Badewanne. Eine Schwäche von mir. Kommen Sie bitte herein.“ Im Wohnzimmer trat er auf sie zu und reichte ihr den Blumenstrauß. „Ich wollte mich bedanken, ich war bei der Tierarztpraxis.“
Lydia lächelte und nahm ihm den Strauß ab. „Vielen Dank. Das ist nett von Ihnen. Wann haben Sie sich vorgestellt?“
„Heute. Ich habe sogar schon eine Zusage.“
Sie wirkte erfreut. „Das ist ja wunderbar. Ich hoffe nur, dass es Ihnen dort gefällt. Ich finde Frau Dr. Frankenfeld sehr angenehm, sie ist eine meiner treuesten Kundinnen, aber ich kann natürlich nicht beurteilen, wie sie als Chefin ist.“ Sie ging in die Küche, und er folgte ihr. „Das weiß man ja vorher nie.“
Bevor er reagieren konnte, war sie schon auf einen Stuhl gestiegen, um an den oberen Küchenschrank zu gelangen. Dabei fiel ihm auf, dass sie keine Strümpfe trug. Sie holte eine blaue Vase heraus, und Harald nahm sie ihr ab. „Das hätte ich doch machen können.“
„Warum? Ich muss doch sonst auch alleine hier hoch kommen.“ Sie stieg vom Stuhl.
„Ist Lisa nicht zu Hause?“
„Nein, sie ist wahrscheinlich wieder mal in dieser Grotte.“
„Ich würde Ihre Gesellschaft vorziehen.“
Lydia wandte ihm den Rücken zu und ließ Wasser in die Vase laufen. Leise sagte sie: „ Was sehen Sie in mir? Sie kennen mich doch gar nicht. Außerdem bin ich älter als Sie.“
„Diese spießige Haltung passt nicht zu Ihnen.“
„Woher wollen Sie wissen, was zu mir passt und was nicht?“
„Oh, ich habe keine so schlechte Menschenkenntnis und ehrlich gesagt, ist mir ihr Alter völlig egal.“
Lydia antwortete nicht. Sie stellte die Blumen in die Vase. Dann drehte sie sich zu ihm um, ihr Blick war nicht zu entziffern.
Er murmelte: „Entschuldigung! Sagen Sie mir jetzt eindeutig, dass ich gehen soll, und ich werde nicht wiederkommen.“
„Warum setzen Sie mich so unter Druck?“
„Unter Druck?“
„Na, es ist doch so. Ich soll Ihnen jetzt entweder in die Arme fallen oder Sie wegschicken. Dazwischen scheint es für Sie nichts zu geben.“
„Also gut Lydia, Ihr Alter interessiert mich nicht die Bohne, aber wenn Sie mir das als Hürde in den Weg stellen, tja, die werde ich natürlich nie überwinden können. Leben Sie wohl und vielen Dank für die Jobvermittlung.“
Er wandte sich zur Tür, doch Lydia hielt ihn auf. „Es stimmt, es ist nicht nur mein Alter, ich...“ sie suchte nach Worten, „aber erotische Anziehungskraft reicht mir nicht aus, um...“
Harald unterbrach sie: „Sie werden mir doch nicht vorwerfen, dass ich Sie auch körperlich begehre. Ich...“ Er strich sich über die Stirn. „Ach was! Warum soll ich mich rechtfertigen für meine Gefühle?“ Hilflos ließ er die Hände sinken.
„Es geht nicht um Rechtfertigung. Ich verstehe nur nicht, warum Sie so drängen. Sie benehmen sich wie ein kleiner Junge, der schmollt, weil er nicht
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